In Japan mischt sich in die Furcht vor radioaktiver Verstrahlung zunehmend Unmut über den Mangel an genauen Informationen. Bürgermeister von Gemeinden klagen darüber, dass die Behörden und Japans Medien nach dem Bekanntwerden erhöhter Werte keine weiteren Informationen bereitstellen und die Menschen über die tatsächliche Gefahrenlage im Unklaren lassen. Als Folge werden die Beteuerungen der Behörden, die Strahlen stellten keine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung dar, zunehmend angezweifelt. Um dem Volk die wachsende Sorge zu nehmen, fordern Experten mehr konkrete und laufend aktualisierte Informationen über die Strahlenbelastungen.

"Das größte Problem sind Verdächtigungen. Wenn Zweifel aufkommen, ob Informationen falsch sind oder verheimlicht werden, entsteht Panik", warnt Hirose Hirotada, Professor für Psychologie an der Tokyo Womans Christian University. Daher sei es wichtig, akkurate und laufend aktualisierte Informationen den Menschen bereitzustellen. Nur so könne übertriebene Furcht in der Bevölkerung bekämpft werden.

Ärzte stellen laut Medien "Zertifikate" aus

Die Furcht vor möglicher radioaktiver Verseuchung geht soweit, dass einige Notunterkünfte von Flüchtlingen Nachweise verlangen, dass sie sich auf Strahlen haben untersuchen lassen. Ärzte hatten laut japanischen Medien begonnen, "Zertifikate" für Menschen auszustellen, die auf Strahlen untersucht und für problemfrei befunden wurden. In einem Notlager, das Flüchtlinge aus der 20-Kilometer-Zone um das havarierte Kraftwerk in Fukushima aufnimmt, wurde laut Medien ein Schild am Eingang aufgestellt mit der Aufschrift: "Diejenigen, die sich nicht Strahlenprüfungen unterzogen haben, dürfen nicht rein."

"Wir haben eine steigende Zahl von Fällen festgestellt, wo Bewohner aus den von der Regierung verordneten Evakuierungsgebieten der Zutritt (zu Flüchtlingslagern) verwehrt wurde", sagte Hiroyuki Hayashi, ein mit Strahlenuntersuchungen beauftragter Arzt, der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo. Viele Menschen auch in den Nachbarregionen fühlten sich wegen der Berichte über verstrahltes Gemüse "stigmatisiert", obgleich viele ihrer Erzeugnisse überhaupt nicht belastet seien, berichtete die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgiewa, nach einem Besuch in einem Notlager.

"Kann mein Kind noch draußen spielen?"

Auch bei ihrem eigenen Aufenthalt in der Region hätten die gemessenen Daten deutlich unter den Grenzwerten gelegen. Viele Menschen wissen jedoch nicht, wie die Situation in ihrer eigenen unmittelbaren Umgebung aktuell aussieht. Das sorgt für Verunsicherung. "Die lokale Bevölkerung ist sehr besorgt über die radioaktive Belastung", sagte Georgiewa. Vor allem Mütter seien verängstigt. Viele fragen: "Kann mein Kind noch draußen spielen?"

Auch Fischer und Bauern äußern sich besorgt darüber, ob sie überhaupt jemals wieder dort leben und arbeiten können, selbst wenn ihre Heimatorte wieder aufgebaut würden. Aus dem Grund nehmen auch manche Bewohner von Notunterkünften die gut gemeinten Angebote der Behörden nicht an, in vorübergehende Behelfshäuser umzuziehen. Es sei daher wichtig, mehr örtlichen Gemeinden eigene Messgeräte bereitzustellen, sagte Georgiewa. Doch Daten allein reichten nicht.

Sie müssen auch verstanden werden. Das aber ist für einfache Bürger oft nicht möglich. Aus dem Grunde bemühen sich jetzt auch Studenten, die als freiwillige Helfer tätig sind, darum, Strahlenmessungen auszuwerten und den Menschen in den Regionen vor Ort leicht verständlich zu vermitteln. "Angst vor Radioaktivität führt zum Ausbreiten von Gerüchten", warnt Hayashi. (APA)