Maximilian Edelbacher (links) und der Sohn seines Lehrmeisters, Georg Herrnstadt, sinnieren über Lüge und Wahrheit. Den Unterschied herauszufiltern ist die hohe Kunst für einen Kripobeamten.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Wie kommen ein Musiker und ein Kriminalist auf die Idee, gemeinsam ein Buch mit dem Titel "Sie haben das Recht zu schweigen" zu schreiben?

Edelbacher: Das ist eine sehr persönliche Geschichte. Mein Lehrmeister bei der Polizei, Paul Herrnstadt, war Georgs Vater. Als Diebstahlsreferent im Wiener Sicherheitsbüro hab ich meinen ersten Fall - ein reiches Hausherrnsöhnchen meldete seinen Mercedes fälschlich als gestohlen - gleich bei der Einvernahme verhaut. Paul Herrnstadt hat mir daraufhin viel über Einvernahmetechnik gelernt. Er war ein völlig atypischer Beamter in der damals sehr chauvinistischen Polizei, saß mit Holzschlapfen und Jeans im Büro und ging mit Verdächtigen unvoreingenommen und respektvoll um. Und sein Sohn Georg ist ja nicht nur Musiker, sondern auch Kommunikationstrainer, schult unter anderem auch Staatsanwälte und Richter.

Herrnstadt: Die meisten Leute glauben ja, es gibt nur Lüge und Wahrheit. Doch dazwischen liegt ein breites Spektrum. Zum Beispiel wenn jemand sich falsch erinnert oder etwas verdrängt, das ihm peinlich ist. Gerade bei Zeugenaussagen gibt es Falschaussagen, die nicht wahr, aber auch nicht bewusst gelogen sind.

STANDARD: Was ist der Unterschied zwischen wahr und richtig?

Herrnstadt: Wahrheit ist ein schwer überladener Begriff. Immer, wenn man sie sucht, verschwindet sie. Im Alltag geht es ja auch viel öfter um falsch und richtig. Wenn jemand gegen die Einbahn fährt, ist er nicht unwahr, sondern falsch gefahren.

STANDARD: Wie können Lügen aufgedeckt werden?

Herrnstadt: Ich bin überzeugt, dass eine wirklich gute Lüge nicht aufzudecken ist. Aber gerade bei Einvernahmen geht es darum, sich mit dem Gegenüber ins Einvernehmen zu setzen. Vertrauen herzustellen bringt mehr als Härte oder Drohungen.

STANDARD: Deckt sich das mit der kriminalistischen Erfahrung?

Edelbacher: Absolut. Bei der Polizei gibt es ja viele Facetten der Befragung wie das Rollenspiel "Good Cop - Bad Cop" oder taktische Einvernahmen. Entscheidend ist immer das Umfeld: Geht es um ein Gewaltdelikt oder um Betrug, gibt es Sprachprobleme, sind Drogen oder Alkohol im Spiel, welchen Einfluss hat die unmittelbare Umgebung. Betrüger und Fälscher sind leichter zu handhaben als Gewalttäter, fordern die Polizei aber auch mehr heraus, weil sie geistig wendig und schlau sind.

Herrnstadt: Es gibt einfach keine allgemeingültige Regel. Es gehört immer eine große Portion Erfahrung dazu, um Menschen davon abzuhalten zu lügen.

STANDARD: Merkt man es Menschen an, wenn sie lügen?

Edelbacher: In meiner Polizeilaufbahn hab ich immer wieder erlebt, dass jemand, der ein G'schichtl auftischte, rote Wangen bekam und schwitzte, oder die Augen rollten auffällig hin und her. Das kann natürlich auch eine allgemeine Aufgeregtheit sein, aber routinierte Kriminalbeamte können die Körpersprache lesen.

Herrnstadt: Anfänger bei der Polizei oder Richterei müssen sich aber zunächst einmal von diesen Klischees verabschieden. Es gibt Untersuchungen, wonach Signale wie nervöses Herumrutschen auch daher stammen können, weil jemand glaubt, für einen Lügner gehalten zu werden. Deshalb ist es so wichtig, Menschen bei Befragungen zunächst einmal zu entspannen und sein Basisverhalten zu beobachten. Dann können erfahrene Interviewer Veränderungen feststellen.

STANDARD: Das bedeutet, dass man sich für Einvernahmen viel Zeit nehmen muss.

Edelbacher: Ja, und das ist heute ein Riesenproblem, weil bei steigenden Formalismen und Arbeitsdruck immer weniger Zeit bleibt. Ein guter Kripobeamter muss aber die Ruhe mitbringen zuzuhören.

STANDARD: Welche Rolle spielen gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede?

Herrnstadt: Eine große. Ein Richter vom Asylgerichtshof hat mir erzählt, dass Ethnien, die keine Geschichtsschreibung haben, Ereignisse bei jeder Befragung immer ein wenig anders schildern. Und zwar aus dem Anspruch heraus, dass Ausschmückungen zur Erzählkunst gehören. Immer dasselbe zu erzählen gilt als langweilig.

Edelbacher: Theorie und Praxis driften immer auseinander. Um Vorurteile und Unwissenheit abzubauen, gibt es bei der Polizei das Projekt "Fair und sensibel", das vor allem die verschiedenen afrikanischen Kulturen vermittelt.

STANDARD: Ist man als Kriminalist böse, wenn man merkt, dass man angelogen wird?

Edelbacher: Nein. Wenn man das persönlich nimmt, kann man sich nicht mehr unter Kontrolle halten.

STANDARD: Welche Straftäter sind besonders schwer zu knacken?

Edelbacher: Einbrecher. Vor allem bei den schweren Burschen der alten Wiener Schule hat Schweigen zum Ehrenkodex gehört.

STANDARD: Wie wichtig ist der erste Eindruck?

Herrnstadt: Die Chance, dass der erste Eindruck stimmt, liegt bei 50 Prozent. Und deshalb hat er keine Aussagekraft. Wichtig ist, dass man jederzeit dazu bereit ist zu sagen: Ich könnte mich irren. Jedes Monat lerne ich in unseren Seminaren 60 Menschen kennen. In den meisten Fällen stelle ich fest, dass der erste Eindruck jeweils viel zu eng war. Natürlich stimmt die erste Bewertung, ob jemand hübsch oder groß oder gut angezogen ist. Aber gefährlich sind die Schlüsse, die man daraus zieht. Mein Vater hat öfters von Heiratsschwindlern erzählt und dass betrogenen Frauen immer betont hätten, dass die Männer doch so hübsch und charmant waren. Ein klassischer Erster-Eindruck-Effekt. Schirche und grausliche Männer werden in der Regel keine Heiratsschwindler.

STANDARD: Die "Neue Zürcher Zeitung" hat einmal Tipps für gutes Lügen gegeben. Darin stand: "Lügen ist eine Dienstleistung und auch dabei ist der Kunde König."

Edelbacher: Sehr treffend. Vor allem eben Betrüger handeln danach. Auch die Stimme ist dabei übrigens ganz wichtig.

STANDARD: Bei welchen Themen lügen die Österreicher am liebsten?

Edelbacher: Bei der Antwort auf die Frage, wie es einem geht.

Herrnstadt: Jammern ist sicher eine Art der Lüge. Nach dem Motto: Ich darf ja nichts unternehmen, mir sind die Hände gebunden.

STANDARD: Laut Umfrage lügen die meisten Österreicher, wenn sie enttäuschende Geschenke erhalten. Also dass sie sich darüber freuen. Die zweite große Volkslüge betrifft die Häufigkeit von Sex.

Herrnstadt: Fragt sich nur, ob das nicht auch gelogen ist. (Michael Simoner, DER STANDARD, 26./27.3.2011)