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Geschlechtsspezifische Faktoren werden in der Schmerztherapie noch immer zu wenig beachtet.

Foto: AP/Jens Meyer

Wien - Schmerz ist geschlechtsspezifisch: Frauen leiden siebenmal häufiger an Fibromyalgie (Schmerzen in Muskeln und Sehnen im ganzen Körper, Anm.) und zweimal öfter an Migräne als Männer. Auch von chronischem Rückenschmerz und Spannungskopfschmerzen sind sie häufiger betroffen. "Frauen haben eine niedrigere Schmerzschwelle, können aber wesentlich besser mit Schmerz umgehen als Männer", sagte der Wiener Spezialist Hans-Georg Kress (MedUni Wien/AKH) und Präsident des Dachverbandes der europäischen Schmerzgesellschaften bei einer Pressekonferenz in Wien. Am Wochenende findet in der Bundeshauptstadt das 15. Internationale Wiener Schmerzsymposium statt. Bei der Veranstaltung geht es auch um Gendermedizin im Bereich von Schmerzforschung, Diagnostik und Therapie.

Benachteiligung in Diagnostik und Therapie

Die Ursachen solcher Unterschiede beim Schmerz sind vielfältig und bisher nur wenig erforscht. Geschlechtsspezifische Faktoren werden in der Schmerztherapie noch immer zu wenig beachtet, daher laufen Frauen Gefahr, unterbehandelt zu werden. "Für eine optimale individuelle Schmerztherapie ohne "Gender Bias" sind präklinische und klinische Studien zur Aufklärung der Ursachen der Unterschiede in der Schmerzempfindlichkeit, im Schmerzerleben und in der Diagnostik und Therapie von Männern und Frauen dringend notwendig", so Kress. Studien würden zeigen, dass Frauen fünf Mal so häufig wie Männer schmerztherapeutisch unzureichend versorgt werden. Mögliche Erklärungen können die unterschiedliche Sozialisierung von Buben und Mädchen in westlichen Gesellschaften, psychosoziale Faktoren bei der Schmerzchronifizierung, und geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzt-Patienten-Beziehung sein.  Kress: "Solche Faktoren sind komplex, führen aber offensichtlich zu einer unbewussten Benachteiligung von Frauen bei Diagnostik und Therapie."

Kress: "Wir wissen durch neue Methoden, dass es anatomische und funktionelle Unterschiede im weiblichen und im männlichen Gehirn gibt, was die Schmerzverarbeitung angeht. Es liegt der Verdacht nahe, dass die Östrogene hier eine Rolle spielen." Frauen würden deshalb schneller ein Schmerzgedächtnis entwickeln und so zu chronischen Symptomen tendieren.

Frauen mit besserem Schmerzumgang

Der Experte: "Wir wissen aus einer aktuellen Umfrage der Österreichischen Schmerzgesellschaft, dass 28 Prozent der erwachsenen weiblichen Bevölkerung, aber nur 18 Prozent der Männer an chronischen Schmerzen leiden." Auf der anderen Seite seien Frauen robuster, was ihren emotionalen und psychischen Umgang mit solchen Beschwerden angehe: Frauen dürften besser als Männer in der Lage sein, Schmerz-bedingte negative emotionale Konsequenzen zu begrenzen und hätten daher trotz stärkerer Schmerzen eine bessere Stimmungslage als Männer.

Medikamente wirken unterschiedlich

Bei den Unterschieden in der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung spielen aber nicht nur psychosoziale und biologische Faktoren eine Rolle, sondern auch pharmakologische. Studien zeigen, dass eine Reihe von Schmerz-Medikamente bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken können. "Diese Unterschiede müssen auch in die moderne Forschung Einzug halten", fordert Kress. "Aus schmerzmedizinischer Sicht ist zu fordern, dass auch Frauen vermehrt und gezielt in Medikamentenstudien eingebunden werden. Es ist nicht sinnvoll, dass Medikamente überwiegend an Männern erforscht werden, wie dies früher oft der Fall war." (red/APA)