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Ein Demonstrant in San Salvador. Nicht alle Lateinamerikaner sind gegen Obama eingestellt.

Foto: Reuters

 

Man kann es sich so vorstellen: Ein wichtiger und seltener Gast kommt ins Haus, doch dann schaut er dauernd nach den neuesten E-Mails auf seinem Handy, textet SMS und läuft ständig hinaus, um zu telefonieren, weil die wahre Musik eigentlich woanders spielt.

So ähnlich muss es den gastgebenden Regierungen Brasiliens, Chiles und El Salvadors ergangen sein, bei denen der US-Präsident auf seiner fünftägigen, am Mittwoch zu Ende gegangenen Lateinamerikareise Station machte. Gleichzeitig ließ er sich laufend über die Lage bei den  Mehrfachkatastrophen in Japan  informieren und er dirigierte den US-Militäreinsatz in Libyen, wo Gaddafis Militärmaschinerie die Aufständischen zu vernichten drohte.

Ausgerechnet bei seiner Ankunft in Brasilien autorisierte Obama die ersten Luftschläge gegen Gaddafis Streitmacht, obwohl sich die brasilianische Regierung im UN-Sicherheitsrat bei der Resolution über die Durchsetzung einer Flugverbotszone und eines Waffenstillstands der Stimme enthalten hatte (wie auch China, Deutschland, Indien und Russland).

Schon früher hatte sich Brasilien im Atomstreit mit dem Iran als Vermittler angeboten und durchkreuzte damit Washingtons Bemühungen, das Regime in Teheran zu isolieren. Doch Obama ließ sich keine Verstimmung anmerken, streute der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff, einer ehemaligen Guerillakämpferin, Rosen und bezeichnete Brasilien als Vorbild für den Nahen Osten und Nordafrika. Brasilien sei "ein Land, das zeigt, wie ein auf der Straße begonnener Ruf nach Veränderung eine Stadt, eine Land, eine Welt verändert."

Was der US-Präsident neben dem Vortrag inzwischen schon gewohnt geschliffener Reden mit seiner Reise beabsichtigte, hatte er zuvor in seiner wöchentlichen Rundfunksendung in Washington offen erklärt: "Ich möchte Märkte öffnen, damit amerikanische Firmen mehr Geschäfte machen und mehr unserer Menschen beschäftigen können," sagte Obama mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahl 2012, bei der eine verbesserte Wirtschafts- und Beschäftigungslage für seine Wiederwahl eine Voraussetzung ist.

Lateinamerikanische Staaten wie Brasilien, um die sich Obama in der ersten Hälfte seiner Amtszeit kaum kümmerte, haben die Weltfinanzkrise besser überstanden als die USA. Doch für Brasilianer, die Chilenen und andere ist China inzwischen ein wichtigerer Exportmarkt geworden, als die Vereinigten Staaten (oder auch die EU). So versuchte Obama für gute Stimmung zu sorgen, posierte in Rio samt Familie vor der riesigen Christusstatue und spielte mit Straßenkindern in der Favela "Cidade de Deus" Fußball. Er versprach Brasilien Zusammenarbeit bei der Ausbeutung von Erdölvorkommen und versuchte auch, einen Milliardenauftrag für Boeing-F-18-Kampfflugzeuge (gegen die Konkurrenz französischer Dassault- und schwedischer Saab-Flieger) an Land zu ziehen.

Präsidentin Rousseff von der moderat linken Arbeiterpartei, die erst vor kurzem dem hochpopulären Lula da Silva nachgefolgt ist, reagierte mit schon lang bestehenden Gegenforderungen: die USA müssten zur Verbesserung der Beziehungen vor allem die Handelsschranken für Stahl und landwirtschaftliche Produkte aus Brasilien aufgeben.

Und kurz nach Obamas Abreise nach Chile forderte Rousseffs Regierung, dass die Streitparteien in Libyen sofort einen Waffenstillstand ausrufen.

Geschichtslektion in Chile

Etwas holprig verlief der Besuch dann auch in Santiago de Chile, obwohl dort mit dem konservativen Milliardär Sebastián Piñera ein großer Freund der USA regiert. Kurz vor dem Besuch war zwischen den USA und Chile eine Atomzusammenarbeit vereinbart worden, was nach dem japanischen AKW-Desaster die große Mehrheit Bevölkerung Chiles, wo es vor genau einem Jahr ein starkes Erdbeben samt nachfolgenden Tsunami gegeben hatte, in Angst versetzte. Piñera beeilte sich zu versprechen, dass in seiner Amtszeit kein chilenisches AKW gebaut werde.

Verbitterung gab es in Chile auch unter den Opfern der von den USA unterstützen Militärdiktatur Augusto Pinochets (1973-1990) als durchsickerte, dass Obama nicht vor hatte,  für die brutalen Einmischungen früherer US-Regierungen in Lateinamerika um Entschuldigung zu bitten.

Ariel Dorfman, der am 11. September 1973 im Regierungspalast La Moneda war, als dieser von den Luftstreitkräften attackiert wurde und der gewählte Präsident Salvador Allende zu Tode kam, verfasste kurz vor Obamas Ankunft einen dramatischen Appell. Er habe damals nur durch "eine Kette von Zufällen", die an ein Wunder grenzten, überlebt, schrieb Dorfmann, der seither das Schicksal der 3.000 Verschwundenen und der 30.000 Opfer von Folter und willkürlicher Haft zum Thema seiner Erinnerungsarbeit gemacht hat (z.B. im Stück "Der Tod und das Mädchen", das Roman Polanski verfilmt hat).

Wenn sich Obama schon nicht zu einer Entschuldigung durchringen könne, dann solle er wenigstens die Gedächtnisstätte im ehemaligen Folterzentrum "Villa Grimaldi" besichtigen, oder das Grab von Salvador Allende besuchen. Eine derartige "schlichte Geste" sei mehr wert als "50 geschliffene Reden". Gerade angesichts der Rebellionen in Ägypten und anderswo gegen das "autoritäre Joch" wäre es für einen intelligenten Menschen wie Obama lehrreich, persönlich und aus der Nähe mehr über die Opfer US-unterstützter autoritärer Politik zu erfahren.

Doch nichts davon geschah. "Obwohl es notwendig ist, in die Vergangenheit zu schauen, dürfen wir in ihr nicht gefangen bleiben",  sagte Obama in einer Ansprache bloß. Dann versprach er allen amerikanischen Staaten eine Zusammenarbeit unter Gleichberechtigten und stellte fest, dass nur Kuba als nicht demokratisches Land von dieser Familie abwesend sei. Obama unterbrach kurz seine Rede, auf Applaus wartend, der aber nicht kam.

Das freute niemanden mehr als Fidel Castro, der sich die TV-Berichte in Havanna anschaute.

"Hinter ihm, welch ein verflixter Zufall, befand sich, an der Seite der anderen lateinamerikanischen Flaggen auch jene von Kuba", schrieb Castro in einer seiner "Reflexionen", die von den kubanischen Staatsmedien verbreitet werden. "Wenn er eine Sekunde über seine rechte Schulter geschaut hätte, wäre ihm wie ein Schatten das Symbol auf der rebellischen Insel ins Auge gefallen, welche sein mächtiges Land zerstören wollte, aber nicht konnte."

Im demselben Text, in dem Castro auch schrieb, dass er seit Jahren keine Staats- und Parteifunktion mehr innehabe und nur „ein Soldat der Ideen“ sei, bekräftige er kritische Stimmen aus Chile, wonach "Obama der Hemisphäre schon nichts mehr zu bieten habe".

Er wolle aber nicht den Eindruck erwecken, dass „ich Hass gegen seine Person hege, und noch weniger gegen das Volk der Vereinigten Staaten“, endete Fidel Castro. "Ich wünsche ihm eine gute Reise und etwas mehr Besonnenheit."

Andere waren da weniger freundlich. Boliviens Präsident Evo Morales forderte, Obama müsse wegen der Luftangriffe in Libyen der Friedensnobelpreis aberkannt werden. Und Venezuelas traditionell US-feindlicher Präsident Hugo Chávez nannte die  Vereinigten Staaten "die Herren des Krieges - was für eine Unverantwortlichkeit." Die USA und ihre Verbündeten seien nicht am Leben der Menschen in Libyen interessiert, sondern an den Ölvorkommen des Landes. Seiner Forderung nach einer Verhandlungslösung schlossen sich auch weitere Regierungen der Region, etwa auch die argentinische, an.

Es lässt sich feststellen, dass Obama gegenüber Lateinamerika kaum weiter gekommen ist, obwohl die Grundstimmung jetzt viel freundlicher ist, als sie es mit George W. Bush war. Obama konnte das Versprechen, das US-Gefangenenlager auf Kuba zu schließen, nicht einhalten. Und auch die Wirtschaftsblockade gegen Kuba hob er, trotz einiger Erleichterungen, nicht auf, obwohl sie angesichts blühender US-Handelsbeziehungen zu China und Vietnam anachronistisch ist und obwohl die lateinamerikanischen Staaten längst ihre Berührungsängste zu Kuba abgelegt haben.

So blieb denn auch der letzte Stopp des US-Präsidenten weitgehend symbolisch. Er führte ihn ins zentralamerikanische El Salvador, von wo er nach verkürztem Aufenthalt nach Washington zurückflog, um dort innenpolitisch die dringend geforderte Rechenschaft für seine Libyen-Aktion zu liefern.

In San Salvador sagte er eine Erhöhung der finanziellen Unterstützung im Kampf gegen die Drogenbanden um 200 Millionen Dollar zu und versprach – wieder einmal – verstärkte Bemühungen zur Eindämmung des illegalen, aber hochlukrativen Drogenhandels in den USA selbst, der in lateinamerikanischen Ländern aus Hauptursache des Übels gilt.

Bemerkenswert war aber vor allem, dass Obama überhaupt das Land El Salvador betrat, das der pragmatisch-linke Präsident Mauricio Funes regiert, der aus der FMLN kommt, die früher als linksrevolutionäre Guerilla gegen die US-unterstützten Oligarchen und deren Todesschwadronen kämpften. Hier fand Obama doch noch für eine der geforderten "Gesten" Zeit. Er besuchte das Grab des Bischofs Oscar Arnulfo Romero, der 1980 von Killern im Auftrag der Rechten ermordet worden ist.

Dieser gewiss beachtliche Moment der Trauer, der die Salvadorianer laut Funes "mit Zufriedenheit und Stolz" erfüllte, wird dann aber wohl nicht mehr viel an dem Gesamteindruck geändert haben, dass der US-Präsident die Erwartungen der Lateinamerikaner, die ihn vielerorts als grundsätzlich sympathisch betrachten, neuerlich enttäuscht hat. Raymond Colitt, ein Reuters- Korrespondent brachte es mit seiner Formulierung auf den Punkt: "Obama hat warme Worte, und nicht viel mehr, für Lateinamerika".