Moeschl: Forderung nach mehr Transparenz greift zu kurz.

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Öko-Aktivisten sorgen auf ihre Weise für mehr Hygiene im System - wenn auch nur symbolisch: Lobbyistenjagd mit Staubwedel im Rahmen einer Putz-Performance für den alljährlichen "Worst EU Lobying Award" in Brüssel.

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Ernst Strassers kindliche Selbstechtfertigung als privater Ermittler empört und erheitert zugleich. Sogar seine Parteifreunde ringen die Hände. Was aber, wenn es so ist, wie von der Sunday Times berichtet? Erfüllt Strassers Lobbyismus damit schon einen Straftatbestand? - Mag sein, die Gerichte werden das zu klären haben. Sicher ist das aber keineswegs, schließlich ist Lobbying in Brüssel allgegenwärtig und hat sich sogar zu einem ehrenwerten Gewerbe entwickelt.

Angesichts dessen weiß wohl das "Landei" Strasser wirklich nicht mehr, wie ihm geschieht, womit er die heftige Kritik verdient hat und warum nicht auch er über Lobbying "mitvermitteln" (und damit "mitschneiden") sollte. - So weit, so unbeholfen. Man könnte sich aber durchaus auch eine bessere Verteidigungsstrategie Strassers vorstellen als die, den Korruptionsvorwurf gegen ihn einfach auf die Sunday Times zurückzuspiegeln: Der "Dienst an der höheren Sache" würde sich hier anbieten, etwa in Gestalt einer aufopfernden Vermittlungstätigkeit im Rahmen einer der Realität entfremdeten (und daher unmenschlich gewordenen) Polit-Bürokratie, der auch das Ohr für die wirklichen Bedürfnisse der Allgemeinheit fehle. Auch sei hier an eine, in unser aller Interesse gelegene, Effizienzsteigerung der Wirtschaft und an die Verminderung von Reibungsverlusten bei Geschäften zu denken. Dass für die Vermittlungsanstrengungen auch zu bezahlen sei - am besten im Wege gemeinnütziger Privatstiftungen (und nicht bloß einer Privatfirma) - sei dann nur verständlich und sinnvoll ...

Appelle an die Moral ...

Zweifellos hat aber Strasser viel zu dilettantisch gearbeitet, um eine derartige, für routinierte Lobbyisten übliche Rechtfertigung noch in Anspruch nehmen zu können. Offenbar war und ist er auch nicht in der Lage, zwischen einer direkten persönlichen Bereicherung und einer indirekten Bereicherung über eine durch Gemeinsinn ausgewiesene, aber privat betriebene Institution (eine Stiftung etwa) zu unterscheiden. Mit einem Wort, er ist nicht in der Lage zwischen individueller Korruption und kollektiv organisierter Käuflichkeit zu unterscheiden.

Aber ist es nicht gerade das, was Strasser in seinen dreist-dümmlichen Ansprüchen schon wieder sympathisch macht? Sollen und können wir selbst die übliche Unterscheidung zwischen Korruption vor dem Gesetz und Käuflichkeit nach dem Gesetz eindeutig treffen, und sind wir dann schon Demokraten?

In jedem Demokratieindex wird Korruption als Ausdruck von Unterentwicklung bzw. Degeneration des Demokratieverständnisses gewertet. Bloße Käuflichkeit auf einem freien und offenen Markt wird hingegen, wenn eben transparent und zu marktkonformen Preisen, durchaus positiv gesehen. Sie ist, so meint man, ein Ausdruck intensiver gesellschaftlicher Vernetzung und Austausch der Menschen untereinander. Letztlich sollte also der gesellschaftliche Verkehr der Menschen in den demokratischen Systemen möglichst alle Lebensbereiche erschließen und durchdringen. Die Käuflichkeit sei dabei gerade wegen ihrer Unpersönlichkeit - sprich: dem Absehen von der Person - als eine zivilisatorische Errungenschaft anzusehen.

Das alles klingt sehr plausibel und ist es wohl auch in weiten Bereichen - wäre, ja wäre da nicht eine Kleinigkeit, die allerdings schon seit der marktgemäßen Implementierung des ältesten Gewerbes der Welt ein fundamentales Problem darstellt: bei der Prostitution. Nun ist Prostitution aber nicht deswegen problematisch, weil, wie gerne behauptet, Sex per se schmutzig wäre. Es liegt hier vielmehr - ganz allgemein - ein innerer Widerspruch zwischen den inhaltlichen Intentionen dieser Arbeit und der bloßen Tatsache ihrer Käuflichkeit vor. Vollzieht man nämlich die Rückübersetzung von "Sexarbeit" in "käufliche Liebe", wird dieser Widerspruch offenkundig: So erkennt man den Widerspruch, welcher der Prostitution zugrunde liegt: Liebe ist schlichtweg deshalb nicht käuflich, weil sie jeder Form von Käuflichkeit inhaltlich widerspricht. So weit die banale Einsicht, dass man hier das Gewünschte durch einen Kaufakt prinzipiell nicht bekommen kann.

Heute betrifft das hier paradigmatisch angeführte Prostitutionsproblem allerdings viel weniger die Sexarbeit selbst, als ganz andere und weitaus bedeutsamere Bereiche des Gesellschafts- und Arbeitslebens. Ein leuchtendes Beispiel dafür ist die bereits überall forcierte Drittmittelbeschaffung, für die sich (aus inhaltlichen Gründen!) frei verstehenden Wissenschaften. Auch hier kann eine noch so gut organisierte und transparente Form der Mittelvergabe die innere Widersprüchlichkeit nicht grundsätzlich beheben, sie kann sie bloß auf ein "zivilisiertes Niveau" heben.

So weit, so schlecht. Dass aber mittlerweile auch die sich frei verstehende Politik (im Wege von Lobbying) von einer derart prostitutiven Perversion befallen wird, lässt für die Zukunft der Demokratie das Schlimmste befürchten. Vor allem ist zu beklagen, dass aufgrund des verbesserten Organisationsgrades der lobbyistischen Machenschaften ihre systemische Problematik verdeckt wird und damit von den Akteuren umso leichter vor sich und den anderen verleugnet werden kann.

... verdunkeln Systemfehler

So betrachtet ist der Dilettant Strasser als ein beinahe tragischer "Held der gestrigen Welt" anzusehen, einer Welt nämlich, in der Bestechung individuell kenntlich war und in der auch unser Gerechtigkeitsempfinden nur den geraden Wegen zwischen Gut und Böse folgen musste. - Nimmt man allerdings Strassers Vorgehen nicht nur zum Anlass für die jetzt zu Recht geforderte Lobbying-Gesetzgebung, sondern darüber hinaus zum Modell für die gesamte Problematik schlechthin, so wird man sein Ziel mit Sicherheit verfehlen. Die unmittelbare Empörung wird uns den falschen Weg weisen.

So ist auch "Transparenz und Öffentlichkeit", wie sie unsere Justizministerin in einer ersten Reaktion fordert, nicht die kausale, nicht die inhaltliche Lösung für das Problem von Käuflichkeit. Ebenso wenig liegt ja das inhaltliche Problem der klassischen Prostitution in einem Mangel an Öffentlichkeit. Ein öffentlich einsehbarer Straßenstrich kann auch hier keine grundlegende Lösung für das Paradox der "käuflichen Liebe" erbringen.

Natürlich sind die derzeit anlaufenden Verallgemeinerungsbemühungen um das Korruptionsproblem in der Politik generell positiv zu vermerken. Sie geben als solche schon Anlass zu Hoffnung auf systemische Bemühungen für die Beseitigung von Systemfehlern. - Dass hier aber letztlich der Kern der Sache nicht getroffen werden wird, lässt der ebenfalls laut werdende Ruf nach einem "Verhaltenskodex für Parlamentarier" befürchten. Schließlich haben Appelle an die Moral (auch in ihrer kodifizierten und mikronormierten Gestalt) niemals viel bewirken können. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die allgemein beschworene individuelle Moral indirekt zum Komplizen für die Vertuschung von Systemfehlern gemacht wird - und sei es auch nur, um solche Fehler nicht wahrhaben zu müssen. (Peter Moeschl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.3.2011)