Vor einer silberfarben gestrichenen Wand kommt das Schimmern in Iwan Konstantinowitsch Aiwasowskis "Die Woge" von 1889 besonders effektvoll zur Geltung.

Foto: Kunstforum Bank Austria

Wien - Himmel und Meer sind eins. Im Tosen der Wellen und der spritzenden Gischt ist kaum mehr zwischen finsterem, mit Wolken verhangenem Himmel und der sich aufbäumenden See zu unterscheiden. Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski (1817-1900) hat dieses dramatische Wasserspiel in ein gigantisches, drei mal fünf Meter großes Format "gegossen". Blau, grau, grün und silbern glänzt die Ölfarbe. Weiß schimmern die auf den Fluten tanzenden Schaumkronen: Die Woge.

Auch auf Leinwand ist das noch ein faszinierendes Naturschauspiel, das den Blick gefangen nimmt. Fast übersieht man das Drama, das sich hier abspielt. Das dreimastige Segelschiff, das in die Tiefe gerissen wird, die Schiffbrüchigen, die sich mit der letzten Kraft der Verzweiflung an Rettungsboot und Masten klammern.

Die Ästhetik der Naturkatastrophe, sie ist eine befremdliche. Erst recht, wenn sich in die Betrachtung der Gemälde des "russischen Turners" aktuelle Bilder mischen: jene des Tsunamis von Japan, von sich brachial ihren Weg bahnenden, alles zermalmenden Wassermassen. Es sind bildliche Assoziationen, die man angesichts der aktuellen Situation nur schwer abschütteln kann; auch wenn das Meer für Aiwasowski andere Symbolwerte hatte. Der Schiffbruch war ihm eine Metapher für die Lebensreise und für das Scheitern menschlicher Existenz. "Das Meer ist mein Leben", schmetterte er jenen Kritikern entgegen, die seine stete Beschäftigung mit dem "Big Blue" redundant empfanden.

Es waren aber nicht nur dramatische Wasserbilder, die er schuf. Neben den Seeschlachten hatte Aiwasowski auch für Romantik etwas übrig, tauchte süditalienische Küstenstreifen in Sonnenuntergangslicht und Rosétöne oder fing bei einer Amerikareise 1892 die Niagarafälle samt Regenbogen ein. Ruhe, Klarheit und bisweilen ein wenig Kitsch dominieren sein Alterswerk, und es scheint so, als hätte der Meister seinen Frieden mit dem Meer gemacht. Etwa 6000 Werke hat der Vielgereiste geschaffen, was, obgleich nicht alle Arbeiten von solch' wandfüllendem Format waren, eine flinke Arbeitsweise voraussetzte.

Zu Lebzeiten war er ein nicht nur in seiner Heimat gefeierter Star. In der sich Mitte des 19. Jahrhunderts etablierenden Mittelklasse gehörte es geradezu zum guten Ton eine der zahlreichen Stadtansichten Aiwasowskis zu besitzen. Und auch der Künstler selbst stellte sich in Promotiondingen alles andere als ungeschickt an: 1846 in Konstantinopel - von dem er sagte, "nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine so majestätische Stadt wie diese" - schickte er Veduten von der "Kulturhauptstadt seiner Seele" an den Sultan (noch heute im Dolmabahçe-Palast in Istanbul).

In seinem ersten Studienjahr in Italien entstand das Bild Chaos, das Gott Jahwe als Lichtwolke über dem aufgewühlten Ozean zeigt. Er schickte es Papst Gregor XVI. Sein Freund, der Schriftsteller Nikolai Wassiljewitsch Gogol, soll das mit "Dein Chaos wird im Vatikan für Chaos sorgen" kommentiert haben.

Papst verschenkte Geschenk

Und das Gemälde? Der Papst schenkte es weiter. Es ist, wie einige andere Italienbilder Aiwasowskis, im Besitz des Klosters San Lazzaro in Venedig. Das ist in der Ausstellung im Kunstforum der Bank Austria eine der raren Leihgaben aus Europa, denn kein großes Museum besitzt Werke des Künstlers. In Privatbesitz gibt es jedoch viele.

Bei den in Sammlerkreisen gefragten Werken geht es aber häufig darum, zwischen Original oder Fälschung zu unterscheiden. Da es jedoch keinen Experten gibt, der die Echtheit zweifelsfrei belegen könnte, hat man sich auf Leihgaben aus den beiden wichtigsten Sammlungen, dem Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg und der Aiwasowski-Galerie in dessen Heimatstadt Feodossija auf der Krim, konzentriert. Qualitätsvolle Arbeiten, effektvoll inszeniert: Der Wunsch, den hierzulande in Vergessenheit Geratenen überzeugend vorzustellen, ist gelungen. (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 23. 3. 2011)