Da kommen sie wieder die Schlagzeilen der restaurativen Bedenkenträger der Deutschland AG, die sich im Sommer des vergangenen Jahres mit dem energiepolitischen Appell schon so eifrig für die atomare Zukunft ins Zeug gelegt hat. Die Stimmung der Bevölkerung in Deutschland gegen Atomkraftwerke würde im Ausland wieder als Rückfall in die "German Angst" gewertet. Es mache sich Technikskepsis und Kulturpessimismus breit. Zudem müsse mit höheren Strompreisen gerechnet werden, die die Wettbewerbsfähigkeit belaste. Weit gefehlt, Ihr liebwertesten Gichtlinge der Atomfront. Das Gegenteil ist der Fall.

Reaktionäre Atomfreunde

Die Romantiker des alten und überkommenen Industriekapitalismus zählen zur reaktionären Fraktion im Lande. Sie halten an einer Großtechnologie von vorgestern fest, um die liebgewonnenen Pfründe ihrer oligopolistischen Macht zu bewahren. Mit einer zentralistischen Energieversorgung lassen sich sattere Renditen einfahren. Wo käme man denn hin, wenn Städte und Kommunen auf dezentrale und hocheffiziente Konzepte setzen würden, sich abkoppeln von den Stromkonzernen und damit unabhängiger das Energiemanagement regeln. Das stinkt nach mehr Wettbewerb, schwächt die Möglichkeiten für politische Muskelspiele und verringert das Spielfeld für die Lobbyisten der zerbröselnden Deutschland AG. Wer von den Preisrisiken eines Atomausstiegs redet, sollte über das Abwälzen von Kosten und Risiken der Atomenergie auf die Steuerzahler nicht schweigen. Würde man die Gesamtkosten in den Strompreis einrechnen und die Milliarden Euros an Fördergeldern für AKWs raus rechnen - Ökonomen nennen das Internalisierung externer Effekte - müssten wir schon längst weitaus mehr für eine Kilowattstunde berappen.

Die Atomenergie bindet gigantische Finanzmittel, personelle Ressourcen und konserviert unwirtschaftliche Großorganisationen der Energiewirtschaft. Wenn wir eine Energiewende erreichen wollen, brauchen wir allerdings mehr als nur Anti-Atom-Demos. Wir benötigen Technikoptimismus, Hochleistungen der Ingenieure, Investitionen in moderne Infrastrukturen und Offenheit für neue Verfahren, Kraftwerke und Leitungen, auch wenn sie in der eigenen Nachbarschaft errichtet werden. Wer Nein zur Atomenergie sagt, darf nicht gleichzeitig technische Innovationen behindern, die als Kompensation unverzichtbar sind. Jährlich fallen beispielsweise rund 400 Millionen Tonnen Abfälle, die man als Energiequelle nutzen könnte über mechanisch-biologische Verfahren in Kopplung mit Blockheizkraftwerken. Mit einem computergesteuerten Rotteverfahren kann man organische Abfälle trocknen, metallische Werkstoffe und mineralische Störstoffe aussortieren. Als Ergebnis entsteht ein kompaktes Endprodukt mit einem Brennwert auf dem Niveau von Braunkohle. Wird Energie aus Abfall mit einem hohen biogenen Anteil gewonnen, trägt das zudem zur Einsparung von klimarelevanten Kohlendioxid-Emissionen bei. Das Treibhauspotenzial wird um den Faktor 10 reduziert. Nur ein Beispiel, wie man die klimapolitischen Argumente der AKW-Befürworter kontern kann. Wenn wir den Atomausstieg wollen und die alten Energieträger in den Ruhestand verabschieden, brauchen wir eine neue Infrastruktur.

Positives Leitbild für die Energiewende

"Wir brauchen ein positives Leitbild, wie eine saubere, zukunftsfähige und sichere Energieversorgung gestaltet werden soll - national und auf europäischer Ebene. Viele Ansätze bestehen bereits; die müssen jetzt gebündelt werden", sagt Bernd Stahl, IT-Fachmann vom Netzwerkausrüster Nash Technologies. Der Branchenverband Bitkom hatte kürzlich auf der Cebit an die Bundesregierung appelliert, den Aufbau des sogenannten "Smart Grids" zu forcieren. Nur im Zusammenspiel von Stromerzeugern, Netzbetreibern, Geräteherstellern, Unternehmen und Verbrauchern realisieren wir nicht nur eine grüne und smarte Energieversorgung. Die ITK-Branche tüftelt bereits an diesem intelligenten Stromnetz der Zukunft. Denn das Netz wird über das Internet gesteuert und reagiert flexibel auf die schwankende Einspeisung etwa durch Windkraft und Sonnenenergie. Erzeuger und Verbraucherhaushalte sind über intelligente Stromzähler und andere Geräte miteinander verbunden, so sollen zum Beispiel E-Autos automatisch Energie laden, wenn zu viel davon im Netz ist.

Auch in Deutschland experimentieren Unternehmen und Forschungsinstitute, wie das Netz jederzeit fehlerfrei und mit garantierter Dienstgüte laufen kann. Ein zentraler Punkt: Die Sicherheit muss jederzeit gewährleistet sein: "Die Netze müssen vorbereitet werden, damit in einem Katastrophenfall lebensvitale Funktionen nicht unkontrolliert wegbrechen", so Stahl.
Dem Smart Grid könnte dabei eine alte Technik helfen - das ISDN-Netz. Für manch einen noch als aktueller Standard angesehen, ist das ISDN-Netz längst veraltet. 15 Jahre ist die Hardware über den Daumen gepeilt im Einsatz - vergleichbar mit einem Computer aus dem Jahr 1995, der durchs Internet des Jahres 2011 kriecht. Doch das ISDN-Netz hat auch seine Vorteile: garantierte kurze Antwortzeiten zu jedem Ziel, sehr hohe Verfügbarkeit, Unabhängigkeit vom öffentlichen Stromnetz und ein kontrolliertes Verhalten im Katastrophenfall. Gerade im Notfall wird durch Prioritäten gesteuert, dass wichtige Einrichtungen bevorzugt versorgt werden. "Im Internet muss diese Kombination von Leistungsmerkmalen noch implementiert werden, damit es für Smart Grid und andere Applikationen robust genug ist", sagt Stahl.

Die Qualitätsmerkmale des ISDN müssen praktisch im Smart Internet der Zukunft neu erfunden werden, "so wie aus einer Raupe ein Schmetterling wird, wenn die richtige DNA vorhanden ist", sagt Stahl. Eine ähnliche Metamorphose steht dem Smart Grid noch bevor. Es geht also beim Atomausstieg nicht um Maschinenstürmerei, sondern um eine Innovationsoffensive. (derStandard.at, 21.3.2011)