Neulich in Wien: Sechs LastenradfahrerInnen transportieren den Inhalt einer Wohnung quer durch den ersten Bezirk. Etliche Touristen und ein paar Einheimische sind Zeugen. "Wir sind ziemlich oft fotografiert worden", erzählt Resi, erste und für einige Zeit einzige Frau im Wiener Lastenradkollektiv.

Foto: Matthias M.

Wer denkt bei einer anstehenden Übersiedelung ans Fahrrad als Mittel zum Zweck? Vermutlich die Wenigsten. Noch. Denn das Lastenrad gewinnt vor allem in der Stadt zunehmend an Präsenz und Aufmerksamkeit. Man spezialisiert sich auf Lastenradtransporte, wie die Heavy Pedals. Oder nutzt die Idee für das eigene Unternehmen, wie der Burgenländische Winzer Weninger. Er lässt seine "Flaschenpost" in Wien per Lastenrad ausliefern um, wie auch bei seinen Weingärten, zu einem möglichst geringen CO2-Ausstoß beizutragen.

Bild: "Long Harry" und dahinter das äußert robuste "Punschkrapferl", das erste Lastenrad des Kollektivs.

Foto: Matthias M.

Leise, kostengünstig, rasch und ohne Parkplatzsuche geht der Transport mit dem Rad vonstatten. Für die AktivistInnen des Wiener Lastenradkollektivs ist das längst Normalität. Der Verein stellt eigene und externe Lastenräder und Anhänger zur Verfügung. Die praktische Abwicklung ist einfach: Unter Fuhrpark finden sich auf der Webseite alle Details zu Rädern, Anhängern, realistischen Lasten und Standorten.

Foto: Matthias M.

Per e-mail stellt man eine Anfrage, die an das gesamte Kollektiv geht. Dann werden Termin und Treffpunkt vereinbart. Nach Hinterlegung einer Kaution bekommt man Rad oder Anhänger ausgehändigt. Da das Lastenradkollektiv als Nonprofit-Organisation von Spenden lebt, zahlt jeder nach belieben. Ein Teil der Einnahmen fließt in neue Fahrzeuge, ein Teil in den Reparaturfonds. Das Ausleihen erfolgt auf eigenes Risiko. "Wir garantieren, dass unsere Räder straßentauglich sind", so die AktivistInnen.

Bild: "Long Harry" und der Eigenbau "Long Joane" am Bike Music Festival.

Foto: Matthias M.

"Konrad, Dani und ich waren alle drei begeisterte Radfahrer. Da ist der Schritt zum Lastenrad ein kleiner", berichtet Harald vom ersten Impuls zur Gründung des Lastenradkollektivs im Jänner 2010. "Zehn bis zwölf Personen sind derzeit im Kollektiv aktiv, aber es werden immer mehr", beobachtet Fahrradbotin Anna. "Immer mehr Leute legen sich ein Lastenrad zu. Sie brauchen es nicht so oft und stellen es deshalb zum Ausleihen zur Verfügung."

Foto:derStandard.at/tinsobin

Die Fahrräder im Kollektiv sind bis auf eines gekauft, die meisten Anhänger sind selbst gebaut. "Am ersten Solidaritätsfest im April haben wir Spenden von 1000 Euro bekommen und damit unseren Fuhrpark begründet", berichtet Resi von den Anfängen. Noch im selben Jahr erhielten die "Lastis" den Klimaschutzpreis des 7. Bezirks und investierten ihn in ein neues Lastenrad. Die nächsten Spenden werden in eine Radstromanlage fließen.

Foto:derStandard.at/tinsobin

"Jedes Lastenrad, das wir anschaffen, ist anders, damit es für jeden Bedarf eines gibt", erklärt Resi die Fuhrpark-Strategie. "Die meisten Modelle sind so konzipiert, dass die Last vorne ist, damit fährt sich‘s am einfachsten", meint Anna. Resi: "Ich transportiere große Lasten lieber hinten." Harald: "Der Vorteil vorne ist, dass du die Last siehst." Dürfte also mit persönlicher Vorliebe zu tun haben.

Bild: Für "Rasen am Ring 2010" wurde eine komplette Zapfanlage mit Biertischen, CO2-Flaschen und Fässern transportiert.

Foto: Matthias M.

Bei einer Breite bis zu 80 Zentimetern kann für Transporte der Radweg benutzt werden, darüber hinaus muss man auf die Straße ausweichen, was allerdings nur beim "Dildo" der Fall ist - kein Tippfehler: Das Gefährt wurde für die Regenbogenparade entwickelt und parkt derzeit im WUK. 360 Kilo lassen sich mit diesem Monstrum durch die Gegend karren.

Foto: Lastenradkollektiv

Ob man als Alltagsradlerin so ein Fuhrwerk überhaupt steuern könne? "Den Dildo vielleicht nicht, aber jeder kann ein Lastenrad fahren, ohne extrem sportlich zu sein", sagt die 50 Kilo leichte Resi. "Es ist nicht so, dass man vor einer leichten Anhöhe steht und nicht hinaufkommt."

Bild: Der "Dildo" in Aktion.

Foto: Lastenradkollektiv

"Angst sollte man nicht haben", meint Harald. Man gewöhne sich aber rasch an das neue Fahrgefühl Das sieht auch Anna so und vertraut ihr Lastenrad der Fahrrad-Redakteurin für eine Testrunde an. Klägliches Scheitern, denn auch nach einigen Runden am Parkplatz macht das Vorderrad immer noch, was es will. "Aber Annas Rad ist auch kein Einsteigermodell", trösten die "Lastis"...

Foto: Lastenradkollektiv

"Wir fahren mit dem Lastenrad wesentlich langsamer als mit dem normalen Rad", erklärt Erwin, der allerdings auf seinem eigenen Rennrad mit Anhänger nur ungern unter 40 km/h unterwegs ist. "Wenn die Last schwer ist, probiert man flüssig zu fahren. Für Stopp and go ist das Lastenrad ungeeignet." "Der längere Bremsweg muss auch berücksichtigt werden", weiß Anna. "Die Scheibenbremsen der neuen Lastenräder machen da wirklich Sinn", ergänzt Erwin.

Foto:derStandard.at/tinsobin

Wie reagieren die motorisierten Verkehrsteilnehmer auf Lastenräder im Straßenverkehr? "Die Autofahrer respektieren Lastenräder anscheinend mehr als Fahrräder", erzählt Anna. "Es gibt keine Aggressionen. Neulich habe ich eine Matratze transportiert und durchwegs interessierte und positive Reaktionen erlebt." Resi bestätigt: "Oft kommen auf der Straße auch kurze Unterhaltungen zustande."

Foto: Long Joane beim Beladen.

Foto: Matthias M.

Muss man Angst um das eigene Fahrrad haben, wenn man sich einen Anhänger im Kollektiv ausborgt und damit schwere Dinge durch die Gegend karrt? Erwin: "Ich bin am uralten Rad meiner Freundin mit einem vollbeladenen Anhänger gefahren und die Schaltung war im Eimer, aber das war sie auch vorher schon." Weshalb man Erwin kürzlich im Beisein seiner Freundin beim Reparieren in der Bikekitchen beobachten konnte...

Foto:Erwin Preuner

"Es wäre interessant, ob Fahrradhersteller Höchstangaben zum Gewicht machen", meint Resi. "Nicht notwendig", kontert Harald. "Wenn dein Rad in Ordnung ist, sind hundert Kilo Last kein Problem." Die Profi-Lastenräder hätten ganz normale Schaltungen und Ketten, "aber extrem massive Speichen", wirft Anna ein. Und was die Anstrengung für den Fahrer betrifft, heißt es auch, dass man hundert Kilo ohne Probleme transportieren könne. Auch leicht bergauf.

Foto: Lastenradkollektiv

Das Fahrradkollektiv versteht sich als offenes Projekt. Harald: "Wir kennen keine Konkurrenz. Wir fördern und werden gefördert. Unsere Leute sind meist in mehreren Projekten integriert." Das betrifft sogar kommerzielle Unternehmen: "Wir nehmen den Heavy Pedals ab, was sie nicht machen wollen: Fahrräder her borgen." Wie viele Menschen nutzen das Angebot des Kollektivs? Resi: "Im Winter hatten wir ein bis zwei Anfragen die Woche, wenn es wärmer wird, werden es immer mehr. Im letzten Sommer waren alle Räder ausgebucht."

Bild (des Jammers): Das "Ekstra-seikl" wurde am 21. November 2010 gestohlen.

Foto: Lastenradkollektiv

Werbung betreiben die AktivistInnen vor allem im Rahmen der Critical Mass-Veranstaltungen mit Foldern und Show-Fahrten. Bei den anschließenden Solitaritätsfesten kann man T-Shirts oder Taschen mit Logo und Grafiken des Kollektivs selbst bedrucken. Die Strategien dürften Wirkung zeigen, denn "der Lastenradanteil ist im Vergleich zum Anteil üblicher Fahrräder im letzten Jahr rasant gestiegen: von Null auf zwölf, nur in der Kooperative", weiß Harald von einem Lastenrad-Boom zu berichten. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 20.03.2011)

Foto: Matthias M.

Für 15. April plant das Lastenradkollektiv das nächste Solifest im TÜWI. Der Spendenerlös soll dem Projekt BikeMusicFestival Vienna zukommen, das Konzerte und Filmprojektionen mit autark von Fahrrädern generierter Elektrizität ermöglicht.

Am 3. April stellt das Kollektiv im Rahmen der Wiener Radparade das erste Strom generierende Fahrrad vor.

Foto: Matthias M.