Die Stahlhülle des Containments gibt durch die Einstiegsluke auf circa 27 Meter Höhe den Blick auf den Druckbehälter frei. Der wäre im Betriebsfall mit auf Steuerstäben montierten Brennstäben ausgerüstet. Übrig sind die Steuerstabantriebe und -führungsrohre.

Foto: DER STANDARD/Matthias Cremer

AKW-Hund Leonie im Eingangsbereich zum Reaktorblock. Das Kontrollpaneel ist ohne Funktion - wie der Rest der Anlage. 

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Zwentendorf - Seit den ersten Nachrichten aus Fukushima geben die Telefone beim niederösterreichischen Energieversorger EVN keine Ruhe. Journalisten aus dem In- und Ausland wollen Termine, wollen wissen, ob man ins Innere des Reaktors des nie in Betrieb gegangenen Kernkraftwerks in Zwentendorf an der Donau dürfe, auch mit Kameras. "Kein Problem", meint Stefan Zach, Kommunikationschef der EVN, und organisiert Rundgänge im Zweistundentakt.

Auf dem Parkplatz zwischen dem 110 Meter hohen Abluftschlot und dem Verwaltungsgebäude, in dem seit eineinhalb Jahren die Zwentendorfer Volksschule untergebracht ist, stehen die Besucher dann und schauen - zunächst mit einer gewissen Ehrfurcht vor der Geschichte des Ortes, die schnell einer amüsierten Erleichterung weicht.

AKW-Hund Leonie begrüßt schweifwedelnd die Gäste. Weiter hinten, wird erklärt, wohnen die Igel, die hier nach Aufpäppelung in einer Igel-Auffangstation ins 24 Hektar große Gelände ausgewildert werden. Auf einer großen Fläche des Geländes neben Reaktor-Block und Turbinenhalle sind 900 Photovoltaik-Paneele aufgeständert. Die gehören zu einem Forschungsprojekt der EVN in Kooperation mit der Technischen Universität Wien zur Entwicklung von Paneelen für Haus- und Garagendächer. Das Kernkraftwerk Zwentendorf, politisches Schreckgespenst der 1970er-Jahre, macht heute auf Öko-Paradies. Beim Betreten des Reaktorblocks verpufft die Öko-Romantik schnell. Links von den Strahlenmessgeräten, die aussehen wie mickrige Duschen ohne Vorhang, geht es zu den Waschräumen. Rechts davon hängen die Arbeits-Overalls in Materialien aller Sicherheitsstufen nebst knalloranger Unterwäsche der Marke Mäser, original aus den 1970ern. In orange übrigens, damit sie nicht irrtümlich Strahlen-belastet nach draußen mitgenommen wird. Noch weiter rechts steht eine Strahlen-Schleuse moderner Bauart. Diese wurde letztes Jahr eingebaut für einen Fernsehthriller mit dem Titel "Restrisiko".

Eins-zu-eins-Modell

Das Kernkraftwerk ist als Filmkulisse begehrt und ein wachsender Geschäftszweig für seinen Eigentümer. Seit die EVN das Kernkraftwerk 2005 zur Gänze übernommen hat, wird ein weiterer Service angeboten. Techniker typengleicher Kraftwerke, die zwischen 1972 und 1976 errichtet wurden, kommen zur Schulung am Eins-zu-eins-Modell. Vor allem aus den deutschen AKWs Isar I, Brunsbüttel, Philippsburg, Gundremmingen und Biblis. Und in Zwentendorf fehlt es an - fast - nichts. Denn es wurde komplett ausgestattet, inklusive Brennstäbe. Bis zum Volksbegehren 1978 fehlte nur eines - die Bewilligung. Ab 1985 wurde Zwentendorf als Ersatzteillager genützt, die Brennstäbe wurden verkauft und mit Hubschraubern abtransportiert. Aber die Anlage blieb, und zwar strahlenfrei. Daher ist auch das Herz, das Containment, die Stahlkugel mit dem pillenförmigen Druckbehälter für die Brennstäbe, bis in die letzte Nische gefahrlos zugänglich.

Kernkraftwerke sind 18 Monate im Dauerbetrieb. Danach werden sie zur Wartung für zwei Wochen abgeschaltet. Alle Handgriffe an den Steuerstäben, die die Brennstäbe tragen, an den Dampfaustrittsstutzen, an Rohren, an den Kerngitterplatten, an der 60 Tonnen schweren Stahlhaube, die das Containment von oben schließt, kann hier unter sicheren Bedingungen geübt werden. Zudem sind weder Druckbehälter noch Containment mit Wasser befüllt. Während also Kerntechniker in der Echtsituation mit Taucheranzug und Schlauchboot operieren müssen, geht es hier im Trockentraining.

Die Betreiber sehen ein wachsendes Geschäftsfeld. Denn üben lässt sich hier nicht nur der Betrieb, sondern auch das Abwracken von Anlagen.

Einiges mehr hat sich hingegen im Hirn der Anlage, der sogenannten "Schaltwarte", verändert. Für den Film "Restrisiko" wurden die alten Muscheltelefone durch moderne Geräte ersetzt. Verschwinden musste auch das rote Telefon, das ursprünglich als Zwentendorf-Ende einer Direktleitung ins Bundeskanzleramt dienen sollte. Das Drehbuch verlangte noch eine Wanduhr. Da hängt sie und zeigt fünf vor zwölf. (Bettina Stimeder/DER STANDARD, Printausgabe, 19./20. März 2011)