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Michael Pekler traf den Regisseur zum Gespräch.

Wien - Mit der erfolgreichen Kriminalkomödie 8 Frauen etablierte François Ozon jenen für ihn typischen Retro-Look, der auch seine Fassbinder-Adaption Tropfen auf heiße Steine auszeichnete. Nun blickt der französische Filmemacher in Das Schmuckstück (Potiche) zurück in die 70er-Jahre: Catherine Deneuve spielt eine in die Jahre gekommene Frau eines Regenschirmfabrikanten, die sich in ihre Rolle als Mutter zweier erwachsener Kinder gefügt hat. Als ihr hysterischer Gatte (Fabrice Luchini) nach einer Herzattacke seine streikenden Arbeiter nicht mehr besänftigen kann, schlägt die Stunde von Madame Pujol: Mithilfe des kommunistischen Bürgermeisters Babin (Gérard Depardieu) sowie mit Stola und Schmuck ("Zur Ehre der Arbeiter") gelingt es ihr, nicht nur sozialpartnerschaftlichen Frieden einkehren zu lassen, sondern auch Tochter und Sohn ins Firmenboot zu holen. Eine Emanzipationsgeschichte mit überraschendem Ausgang.

STANDARD: "Das Schmuckstück" basiert auf einem 30 Jahre alten Boulevardstück von Pierre Barillet und Jean-Pierre Grédy. Haben Sie bewusst nach einer Komödie gesucht, die sich mit Fragen der Politik und Emanzipation beschäftigt?

Ozon: Ich sah das Stück zufällig vor ein paar Jahren. Es wirkte sehr altmodisch auf mich, aber ich hatte das Gefühl, dass in ihm auch etwas sehr Modernes steckt. Als dann 2007 im französischen Präsidentschaftswahlkampf diese machistischen Töne gegen Ségolène Royal zu hören waren, fiel es mir wieder ein. Also habe ich es zum ersten Mal auch gelesen und war überzeugt, dass es sich hervorragend als Stoff für einen Film eignen würde.

STANDARD: Wäre eine solche Gesellschaftskritik nicht deutlicher zu formulieren, wenn Sie das Stück in der Gegenwart angesiedelt hätten?

Ozon: Es war mir von Anfang an wichtig, das Stück in seiner Zeit zu belassen, weil es nur dadurch möglich war, seinen komödiantischen Tonfall beizubehalten. Man muss eine nötige Distanz zur Gegenwart aufrechterhalten, um über die Ereignisse und die Figuren lachen zu können. Außerdem konnte ich dadurch ein Stück meiner eigenen Kindheit wiedererschaffen, mit all den Bildern und Assoziationen, die dazu gehören: den Kostümen, den Frisuren und natürlich der Musik.

STANDARD: Bergen diese vorgefertigten Bilder nicht die Gefahr, an Glaubwürdigkeit zu verlieren? Immerhin möchte der Film auch Fragen wie Streikrecht und soziale Gerechtigkeit thematisieren.

Ozon: Das ist für mich kein Widerspruch. Ich finde, dass gute Komödien auf der Realität basieren. Der politische Hintergrund in Das Schmuckstück ist ebenso wichtig wie die Verhältnisse innerhalb der Familie, durch die das Verhältnis zwischen den Generationen und Geschlechtern deutlich wird. Ich wollte zeigen, dass sich seit vierzig Jahren in manchen Bereichen nicht viel verändert hat. Valéry Giscard d'Estaing war wie Sarkozy ein großer Verkünder, der sich zwar um Reformen bemühte, gleichzeitig aber sehr konservativ agierte. Für die Frauen war es am Arbeitsplatz, so sie einen hatten, zwar schwieriger als heute, dennoch gibt es Entsprechungen, vor allem in der Ungleichstellung bei der Bezahlung.

STANDARD: In Ihrem Historienfilm "Angel" haben Sie die Geschichte einer wenig talentierten, aber erfolgreichen Schriftstellerin erzählt. Haben Sie eine besondere Sympathie für die "schlechte" Kunst?

Ozon: Mich interessiert das Populäre, weil es repräsentativ für unsere Gesellschaft ist. Was ich am bürgerlichen Theater mag, ist sein Verhältnis zum Publikum: Es fungiert als Spiegel und wirft Fragen auf, die es selbst jedoch nicht beantwortet. Die Antworten finden sich dann hoffentlich in meinen Filmen. Natürlich möchte ich nicht um der Popularität willen solche Filme drehen, aber es ist wichtig, sein Publikum zu erreichen. Mein Ideal in dieser Hinsicht sind Hitchcock und einige Hollywoodregisseure der 40er- und 50er-Jahre, die kommerziell erfolgreiche und zugleich künstlerisch wertvolle Filme drehten. Genau das habe ich auch mit Das Schmuckstück versucht: eine Komödie im Geiste Billy Wilders.

STANDARD: "Das Schmuckstück" überrascht mit einem zweiten Finale, wenn die erfolgreiche Geschäftsfrau zu einer ebenso erfolgreichen Politikerin wird.

Ozon: Das Stück endet eigentlich damit, dass der Ehemann entdeckt, dass seine Frau ihn als bessere Chefin abgelöst hat. Aber ich schrieb einen dritten Akt, denn ich wollte etwas Komplexeres: Ich wollte zeigen, dass diese Frau noch höher aufsteigen kann, obwohl es für sie demütigend war, dass ihr Mann die Macht wieder an sich gerissen hat. Das bedeutet, dass sie flexibel geworden ist und den Widerstandsgeist in sich entdeckt hat.

STANDARD: Zu Beginn trägt Catherine Deneuve einen knallroten Adidas-Trainingsanzug, am Ende sieht sie als Politikerin im Business-Kostüm ein wenig aus wie Hillary Clinton.

Ozon: Ja, sie gewinnt den Wettkampf gegen Gérard Depardieu auch in der Kategorie Geschmack.

STANDARD: Das ist natürlich ein Werdegang, bei dem man aber erkennen kann, dass Inszenierung und Vermarktung wichtiger sind als der Inhalt. In ihrem Wahlkampf hat Suzanne Pujol keine einzige politische Botschaft, ihre Wähler bezeichnet sie als ihre Kinder.

Ozon: Sie will einfach nur Mutter sein. Ich hätte sie gerne als marxistische Rebellin gesehen, aber das hätte der Logik ihres Charakters widersprochen, denn sie steht in dieser christdemokratischen Tradition. Sie hat keine Ahnung von Politik, aber gerade darum geht es: Viele Leute, die keine Ahnung von Politik haben, kommen nach oben. Denken Sie an Sarah Palin! (Michael Pekler, DER STANDARD - Printausgabe, 19./20. März 2011)