Wenn Bibliotheken das Spiegelbild des Wissens einer Gesellschaft sind, ist es um Japans Know-how über Atomkraft nicht gut bestellt. Wer sich über Atomunglücke in der städtischen Bibliothek informieren wollte, fand nur VHS-Videokassetten über Tschernobyl. Johannes Weber, Doktorand für theoretische Elementarteilchenphysik an der Universität Tsukuba: "Die Japaner sind überhaupt nicht für das Thema sensibilisiert."

Vielen Menschen fehlen die Worte angesichts der nuklearen Katastrophe vor der Tür Tokios. "Diesmal ist das erste Mal", meint Koji Suzuki. "Die Menschen glaubten einfach, dass Atomkraft sicher ist. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass ein Atomkraftwerk explodieren kann." Nun verfolgen sie gebannt vor dem TV den GAU.

Für Suzuki ist Ignoranz der vielleicht beste Schutz gegen die Panik. Weil er nicht viel weiß, will er den Anweisungen der Regierung aufs Wort folgen. "Denn das ist die einzige Information, die ich habe."

Wissen über Millisievert und Jodtabletten

Diese Bildungslücke gibt Staat und Medien eine einmalige Chance. Sie könnten die Lücke im Schnelldurchlauf mit maßgeschneidertem Wissen füllen. Fernsehen und Zeitungen erklären den Bürgern derzeit genau, wie AKWs aussehen, wo die Probleme sind und was man machen kann.

Der Ton und der Inhalt sind dabei so betont sachlich, als ob Ängste medial wegrationalisiert werden sollen. Millisievert sind in wenigen Tagen den Menschen zu einem Begriff geworden. Das Ministerium für Erziehung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technik veröffentlicht inzwischen die Werte seiner Messstationen im Internet.

Und beim Facebook-ähnlichen Dienst Mixi versuchen immer mehr Menschen sich über Strahlenrisiken aufzuklären. Auch die angesehene, kleine Anti-Atomkraftsgruppe Citizens Nuclear Information Center (CNIC) hat inzwischen die Aufklärungsarbeit begonnen. Ihre Fachleute erklären die Wirkung von Jodtabletten. (Martin Kölling aus Kioto, DER STANDARD, Printausgabe, 18.3.2011)