Mit Salvatore sprach Andrea Schurian.
Standard: Am Sonntag wird im Burgtheater im Rahmen einer Standard -Veranstaltung darüber diskutiert, ob Europa in einer Kulturkrise steckt. Tut es das?
Salvatore: Ich sehe, dass die Krise noch viel ernster ist als angenommen. Es gibt nationale Unterschiede - in Deutschland und Österreich ist es sicherlich besser als hier. Doch in Italien mit der höchsten Anzahl an Weltkulturerbedenkmälern wurden die Mittel gekürzt, und zwar horizontal. Nun hat Andrea Carandini, oberster Denkmalschützer und eine wichtige Kapazität, demissioniert: Pompeji ist nur der Anfang. Es wird alles zusammenbrechen, weil sich niemand um die Erhaltung kümmert. Oder die Oper! Die ganze Welt macht italienische Oper, nur in Italien gibt es kein Geld für Inszenierungen. Kleinere Opernhäuser sind so ausgehungert, dass sie nicht einmal mehr konzertant spielen können. Aber ein großer Teil des Volkes geht in die Oper! Und Theater existiert gar nicht mehr, weil es so beschnitten wurde. Ungerecht ist dabei: Die Lega-geführten Theater kriegen Geld, die anderen nicht.
Standard: Wie schaut es im Uni- und Bildungsbereich aus?
Salvatore: Darüber reden wir lieber nicht. Da gibt es gar kein Geld. Man spricht hier von einer "Flucht der Gehirne", weil so viele italienische Wissenschafter ins Ausland gehen. In der Schweiz, etwa bei Cern in Genf, sind sieben von zehn Wissenschaftern Italiener. Auch bei Sandro Bondi, dem ehemaligen Kulturminister, kann man von einer "Flucht eines Gehirns" sprechen - allerdings hat er den Körper in Italien gelassen.
Standard: Sandro Bondi ist zurückgetreten, sein Nachfolger soll der bisherige Landwirtschaftsminister werden ...
Salvatore: Bondi war zwar in seiner Jugend Kommunist, wurde aber rasch eine der rechten Hände Berlusconis. Er ist ein Lega-Mann. Tatsache ist: Berlusconi muss für den Erhalt der Mehrheit zahlen - mit Ministerposten etc. auch für die Lega Nord. Der bisherige Landwirtschaftsminister Giancarlo Galan ist aber kein Lega-Mann, er war als Präsident des Veneto Christdemokrat und dann ein Mann der ersten Stunde von Berlusconi. Aber ehrlich gestanden ist es sowieso egal, wer Kulturminister wird: Er hat nämlich überhaupt kein Geld zur Verfügung. Der italienische Finanzminister hat gesagt: "Kultur isst man nicht." Das ist unfassbar! Er wollte seinen Frieden haben und hat deshalb die Mittel aller Ressorts gleich gekappt. Ein horizontaler Schnitt im Budget ist Unsinn!
Standard: Italiens Kulturschaffende planen für den 25. März einen Streik, weil laut Budgetgesetz 2011 der Kulturetat auf ein Rekordtief reduziert wird und tausende Arbeitsplätze in Gefahr sind.
Salvatore: Hier in Italien ist es verheerend, aber auch in Deutschland oder Österreich gibt es viel zu wenig Geld. Man sollte zehnmal so viel ausgeben. Ich sage das nicht, weil ich ein Teil der Kulturszene bin. Ich bin absolut sicher, dass auch Leute, die mir nicht gefallen, gefördert werden müssen. Ich bin sogar für höhere Besteuerung, um die Schulbildung, die Universitäten sowie unsere Kulturgüter erhalten zu können. Nur das wird uns eine Identität - eine europäische Identität - und eine Haltung gegenüber der Welt geben. Mir gefällt ein Satz von Woody Allen: "Wir müssen etwas für unsere Nachfahren tun." - "Warum? Was haben die Nachfahren für uns getan?" (DER STANDARD, Printausgabe, 18.3.2011)