"Mit der technischen Nutzbarmachung der Kernspaltung wurde der Sprung in eine ganz neue Dimension der Gewalt gewagt. Zuerst richtete sie sich nur gegen militärische Gegner. Heute gefährdet sie die eigenen Bürger." So schrieb Robert Jungk 1977 in seinem Buch "Der Atomstaat". Seine Warnungen vor dem "lebensfeindlichen Charakter dieser Energie" wurden von Politik, Wirtschaft und auch den Bürgern als Stromkonsumenten mehrheitlich in den Wind geschlagen. In beinahe allen Industriestaaten wurde auf Atomenergie gesetzt - Österreich ist hier eine der wenigen Ausnahmen.

Die Risiken der Atomtechnologie

Es gab und gibt immer wieder Pannen in Reaktoren. Mit dem Verweis auf ständig verbesserte Sicherheitsstandards wurden diese von den Verantwortlichen als ungefährlich abgetan. Und Tschernobyl als große Ausnahme - Serie menschlicher Fehler, veraltete Technik usw. - hingestellt. Die Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima im Gefolge des Erdbebens brachte - 25 Jahre nach Tschernobyl - der Weltöffentlichkeit schlagartig die Risiken der Atomtechnologie wieder in Erinnerung. Auch wenn von den Betreibern des Kraftwerks das Ausmaß der Katastrophe zunächst heruntergespielt wurde, sind die Folgen dramatisch.
Besserwisserei nach dem Motto "Wir haben es immer schon gesagt" wäre unangebracht. Selbstverständlich muss unsere Solidarität und unser Mitgefühl nun den von der Katastrophe betroffenen Menschen gelten. So weit Hilfe benötigt wird, sollen wir diese geben. Auch wenn unsere Hilflosigkeit hier jener der „Rettungsteams" vor Ort gleicht. In seinem Buch "Atomstaat" nennt Jungk als die Erstbetroffenen die AKW-Mitarbeiter - er spricht von "Strahlenfutter". Fukushima zeigt was damit gemeint ist.

Österreich ist von AKWs in Erdbebenzonen umgeben

Die Katastrophe soll und kann aber auch zu einem kollektiven Umdenken genutzt werden - denn die Beschwichtiger werden bald wieder zu hören sein. Nur wenn sich viele Bürger und Bürgerinnen gegen die Atomkraftwerke in ihrer unmittelbaren Nähe aussprechen, kann der Umschwung gelingen. So ist Österreich laut Risikoforscher Wolfgang Kromp von mehreren AKWs in Erdbebenzonen umgeben - von Krsko in Slowenien über Pacs in Ungarn bis Dukovany und Mochovce in der Slowakei. Aber auch Temelin in Tschechien oder Isar I in Bayern gelten als nicht ungefährdet. Proteste in allen EU-Staaten, in den USA und darüber hinaus können Wirkung zeigen. Und die Kritik muss sich auch gegen Konzerne richten, die an der Atomwirtschaft verdienen - Fukushima wurde von Siemens mitgebaut!

Problem Atommüll

Zu den Risiken von Reaktorunfällen kommt ein Weiteres. Die Atomwirtschaft hinterlässt eine schwere Hypothek, die ähnlich den Schuldenbergen in unserem Finanzsystem vor uns hergeschoben wird: die derzeit völlig ungelöste Beseitigung des über viele tausende Jahre strahlenden Atommülls. Die Haftungsfrage ist hier völlig ungeklärt.
Atomenergie trägt weltweit nur an die 6 Prozent zum Energieaufkommen bei, auch wenn in einzelnen Staaten die Abhängigkeit groß ist: in Frankreich sind es über 75 Prozent, in Litauen etwa 64 Prozent, Deutschland liegt bei "nur" 25 Prozent und Japan bei 22 Prozent. Ein 100 Prozent-Umstieg auf erneuerbare Energieträger bis 2050 gekoppelt mit einer drastischen Erhöhung der Energieeffizienz ist machbar - den politischen Willen vorausgesetzt! Der WIFO-Klimaexperte Stefan Schleicher sieht für Österreich Energieeinsparpotenziale von 50 Prozent bis 2050! Vorsichtigere Prognosen gehen von einem Totalumstieg zumindest bis Ende des Jahrhunderts aus. Nuklearenergie spielt dabei keine Rolle mehr.
Doch es ist zu erwarten, dass die Verteidiger der Atomlobby bald wieder zu vernehmen sein werden. Wesenskern von Demokratie ist jedoch, dass wir als Bürger und Bürgerinnen gefragt werden, welche Energie wir wollen und wie viel wir bereit sind dafür zu zahlen. Gepaart muss dies freilich sein mit weniger aufwändigen Lebensstilen in einer „Solarsparwirtschaft", die auch aus anderen Nachhaltigkeitsgründen geboten sind. (Hans Holzinger, derStandard.at, 17.3.2011)