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Solange weißer Dampf aus den vier Kühltürmen aufsteigt, fühlen sich die Anrainer rund um das Kernkraftwerk Temelín in Sicherheit. Sie werten das als Zeichen, dass die beiden Reaktoren störungsfrei arbeiten

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Jiøi Vrzák kann sich von seinem kleinen Bauernhof bei Temelín nicht trennen - trotz der vielen AKW-Störfalle

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Weiße Rauchsäulen ragen in den Himmel empor. An einem wolkenlosen Tag sind sie ewig weit zu sehen. Schnurgerade führt die Landstraße auf die vier dampfenden Kühltürme des größten tschechischen Kernkraftwerkes Temelín zu. Direkt bei den Türmen ist neben der Straße eine Parkbucht. Fotografieren ist von hier aus erlaubt. Beim Aussteigen aus dem Auto fällt einem sofort ein lautes Rauschen auf. "Es ist das Kühlwasser, das in die Türme strömt", erlärt Pavel Vlèek.

Er ist einer der wenigen Anti-Atom-Aktivisten in Tschechien. Gemeinsam mit Gabi Pohlova arbeitet er für die Gruppierung OIZP. Die beiden sind an diesem Tag Dolmetscher, übersetzen Antworten auf die Fragen an Bewohner rund um Temelín, ob sie als direkte Nachbarn eines AKWs nach dem Reaktorunglück in Japan jetzt mehr um ihre Sicherheit fürchten.

Melker Abkommen

Ende 2000 ging in Temelín der erste der beiden Reaktoren in Betrieb. Wegen fehlender westeuropäischer Sicherheitsstandards wurde 2001 das Melker Abkommen mit Tschechien geschlossen. Es sollte nachgerüstet werden. Allerdings blieb die tschechische Regierung den Beweis dafür schuldig und erteilte trotzdem die Genehmigung für den kommerziellen Vollbetrieb. Defekte Turbinen und Pumpen oder Austritt radioaktiver Flüssigkeit führen immer wieder zu Notabschaltungen.

Die Störfälle zu zählen hat Jiøi Vrzák aufgehört. Erst vorige Woche sei mal wieder kein Dampf aus den Kühltürmen aufgestiegen, es herrschte kein Normalbetrieb. Vrzák besitzt einen kleinen Hof in Litoradlice, eine Ortschaft, die in der Senke unterhalb jener Parkbucht liegt. An solche Situationen wie vorige Woche habe er sich mittlerweile gewöhnt. Obwohl er um das "Risiko der Atomkraft" wisse, dachte er noch nie daran wegzugehen. "Hier habe ich meine Wurzeln."

Keine Kraft für Veränderung 

Der Bauer entschuldigt sich für die Unordnung auf seinem Hof. Doch seit dem Tod seiner Frau fehle ihm die Kraft, etwas zu verändern. Die Ukrainerin ist an Krebs gestorben. Der Witwer hält es für wahrscheinlich, dass die Krankheit eine Spätfolge der Atomkatastrophe von Tschernobyl war. Wenn er Bilder von Japan sehe, werde er noch trauriger. Aber dass so ein Unglück hier passieren könne, hält er für unwahrscheinlich.

"Niemand stellt bei uns solche Zusammenhänge her", meint Pohlova. "Das stimmt nicht ganz", fällt ihr Vlèek ins Wort. Am Dienstag war zum ersten Mal in einer Tageszeitung ein Pro und Kontra zur Atomkraft von zwei Wissenschaftern abgedruckt. Trotz Japan läuft aber das Genehmigungsverfahren für zwei neue Reaktorblöcke in Temelín weiter. Laut Umfragen sind 60 Prozent der Tschechen für Atomstrom. Rund um das Kraftwerk dürfte die Zustimmung noch höher sein.

"ÈEZ hat bei uns einen neuen Spielplatz finanziert", erklärt Dagmar Fikotová aus Koèin. Die Betreibergesellschaft habe sich das "Vertrauen erkauft", gibt sie zu. "Atomkraftwerke sind umweltfreundlicher als Kohlekraftwerke", mischt sich ihre Tochter ein. Nach zehn Jahren in Prag lebt Karla wieder daheim.

Um Infos über das AKW zu bekommen, hat sie eine Führung mitgemacht. ÈEZ sei ein wichtiger Arbeitgeber für Südböhmen. 1000 Personen arbeiten im AKW. Gefragt nach ihrem persönlichen Eindruck, sagt sie, was offenbar Kernkraftgegner wie Bauer Vrzák als auch Befürworter denken: "Es bleibt einem nichts anderes übrig, als den Betreibern zu vertrauen, dass das Kraftwerk sicher ist." (Kerstin Scheller, DER STANDARD Printausgabe, 17.3.2011)