STANDARD: Wie lange ist die Situation in Fukushima noch gefährlich?

Hutchinson: Die Nachzerfallswärme, die das größte Problem ist, klingt innerhalb einiger Tage und Wochen nach dem Abschalten der Reaktoren ab. Wenn also einmal eine Woche oder zwei vergangen sind, ist das Risiko stark reduziert.

STANDARD:  Können Sie schon die Effekte des Unfalls auf die Umgebung abschätzen?

Hutchinson: Bisher ist kaum Radioaktivität ausgetreten. Solange das Containment hält, wird außerhalb der Reaktoren nicht viel passieren. In dem Kraftwerk wird es natürlich eine enorme Verschmutzung geben.

STANDARD:  Welche Konsequenzen wird das Unglück für die japanische Atomindustrie haben?

Hutchinson: Die japanischen Reaktoren wurden sehr sorgfältig entworfen, um Erdbeben stand zu halten. Wenn die Containments weiter dicht bleiben, dann wird das als Erfolg gewertet werden. Japan produziert etwa ein Drittel seiner Elektrizität in Atomkraftwerken, das wird sich so schnell nicht ändern. Die große Frage ist: Wie wird die Öffentlichkeit nun über Atomkraft denken? Die Menschen tendieren dazu, sich davor mehr zu fürchten, als meiner Meinung nach gerechtfertigt. Das ist verständlich, es ist eine Frage der Psychologie, da können Atomphysiker nicht viel dagegen tun.

STANDARD:  Kann man die Sicherheit in japanischen Reaktoren verbessern?

Hutchinson: Die Reaktoren in Fukushima sind relativ alt, fast vierzig Jahre. Seit damals gab es verschiedenste Verbesserungen - etwa Passive Safety Features. (Systeme, die Reaktoren im Notfall auch ohne Menschliches Zutun und elektrische Systeme stoppen, Anm.) Diese Einrichtungen hätten wahrscheinlich jetzt geholfen.

STANDARD:  Sollten die alten Reaktoren also abgeschaltet werden?

Hutchinson: Das muss von Fall zu Fall geprüft werden. Generell zeigen Gefahrenanalysen, dass Atomkraftwerke - auch angesichts der furchtbaren aktuellen Situation - viel weniger Gefahr für Leib und Leben darstellen als viele andere Dinge, die für uns Routine sind. Das trifft auf die alten Reaktoren zu und noch mehr auf die neuen.

STANDARD:  China und Indien bauen die Atomkraft aus. Wird Fukushima daran etwas ändern?

Hutchinson: China und Indien sind beide sehr interessiert an einem Ausbau der Nuklearenergie, sie werden sich sicher nicht durch den Unfall davon abbringen lassen. Das ist eine strategische Langzeitentscheidung. Sie haben keine anderen Optionen, die nicht zu massiver Verschmutzung führen.

STANDARD:  Wie sind die Sicherheitsstandards dort?

Hutchinson: Indien war bis vor sehr kurzer Zeit ziemlich isoliert von den technischenEntwicklungen, weil sie nicht beim Atomwaffensperrvertrag dabei sind. Die meisten chinesischen Reaktoren wurden im Westen entworfen, sind neu und daher in vielerlei Hinsicht besser als die Reaktoren in den USA und Europa. Sicherheit hängt natürlich nicht nur von der Technik ab, sondern auch von den Vorschriften und Arbeitsabläufen. Wie die in China aussehen, kann ich nicht beurteilen. (DER STANDARD Printausgabe, 17.3.2011)