Zwei Arbeiten aus der fünfteiligen Serie "Act of God" (1999) von Mary Ellen Carroll.

Foto: Galerie Winter

Wien - Eigentlich haben die drei Werkkomplexe, die Mary Ellen Carroll in der Ausstellung Proposals, Encryptions and the Death of Typology (Architecturally Speaking) zeigt, nicht viel miteinander gemein. Alle drei Arbeiten führen inhaltlich und medial in unterschiedlichste Kontexte, wobei die Installation A Modest Proposal / A Modist Prepozel (1990/1991) wohl die irritierendste ist: In Wolldecken aus dem Zweiten Weltkrieg hat die Künstlerin die gleichnamige Geschichte von Jonathan Swift eingestickt.

In seiner satirischen Abrechnung mit der englischen Regentschaft schlug der irische Autor im Jahr 1729 vor, die Kinder der Armen zu essen, um Überbevölkerung, Armut und Kriminalität zu bekämpfen. Versucht man die Geschichte zu lesen, die auch fast 300 Jahre später nichts an Schärfe eingebüßt hat, stellt man fest, dass in den Text eine Schwierigkeit eingebaut ist. Erst wenn man die visuell sehr kryptisch wirkenden Wörter laut liest, beginnt man den Text langsam zu verstehen: Er ist in Lautschrift geschrieben. So korrespondiert die befremdliche Dechiffrierung des Textes sehr gelungen mit seinem Inhalt, den man ohnehin besser in kleinen Happen genießt.

Während diese Arbeit kaum ahnen lässt, dass Mary Ellen Carroll an der Architecture School der Rice University in Houston unterrichtet, offenbart die Serie Act of God schon mehr von ihrem Interesse an der Verbindung von Kunst und Architektur.

Davon ausgehend, dass das Medium Fotografie in der Vermittlung von Architektur eine wichtige Rolle spielt, hat sie in fünf Fotografien von Mies van der Rohe ein Maximum an Informationen verpackt: Auf fünf Offset-Lithografieplatten sind beeindruckende Landschaftsaufnahmen zu sehen, die Mies van der Rohe in seinem legendären Farnsworth House in Plano, Illinois aufgenommen hat. Bei genauer Betrachtung sind jene Pixel unübersehbar, die in verschlüsselter Form den Zwist wiedergeben, der einst zwischen der Besitzerin und Mies van der Rohe herrschte.

Gemeinsam mit einem Entwickler sogenannter Dataglyphen hat die Künstlerin die unveröffentlichten Memoiren von Edith Farnsworth in einen Binärcode übersetzt - und so die gut verschlüsselten Information selbst zur Grundlage der Serie Act of God gemacht.

Auch wenn Mary Ellen Carroll mit dem auf Gott verweisenden Titel auch eine ironische Komponente ins Spiel bringt, fühlt man sich um spannendes Wissen betrogen: Schließlich versucht sie in ihrer Arbeiten gerade die Reglements und Befehle aufzubrechen, die ansonsten hinter architektonischen Ansichten, Profilen und Plänen (u. a. Anordnungen von Parkplätzen) verborgen sind.  (Christa Benzer / DER STANDARD, Printausgabe, 17.3.2011)