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Eine Minderheit passt sich erst dann nicht mehr an, wenn sie zur "kritischen Masse" wird: In der vorliegenden Studie wollte man herausfinden, wie viele Frauen es im Vorstand braucht, damit sich patriarchale Strukturen in Firmen verändern.

Foto: APA/AP/Markus Schreiber

Norwegen wird oft als ein Vorzeigeland der Geschlechtergerechtigkeit im Munde geführt: Da, wo Familien- und Gleichstellungspolitik Hand in Hand gehen und robuste Sprungbretter Frauen in Top-Positionen katapultieren, hat sich die Unternehmenslandschaft verändert. Die gesetzliche Frauenquote von 40 Prozent, die seit fünf Jahren gilt, hat dem einen oder anderen Betrieb wegen Nichterfüllung bereits die Börsenlizenz gekostet. Der Rest hat sich fix an die Umsetzung der Vorgabe gemacht - oder die Statuten geändert, denn Betriebsgesellschaften mit beschränkter Haftung berücksichtigt das Gesetz nicht.

Nach Quote in Politik nun in Wirtschaft

Dass gerade das Land im hohen Norden Europas so starker Schrittmacher für Frauenpolitik ist, liegt in der jüngeren politischen Geschichte begründet: In Norwegen saßen bereits vor 25 Jahren über 40 Prozent Frauen im Kabinett - das Resultat einer zunächst belächelten, später als Sensation gewerteten "Zwangsquote", welche die damalige Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland für ihre sozialdemokratische "Arbeiderpartiet" eingeführt hatte. Was für die Politik funktioniert hat, soll nun auch in der Wirtschaft greifen. Und damit steht Norwegen schon länger nicht mehr alleine da: Auch Spanien und Frankreich haben mittlerweile die Frauenquote für Großunternehmen installiert. Nach einer Übergangsfrist sollen hier wie dort in wenigen Jahren 40 Prozent der Aufsichtsräte weiblich besetzt sein.

Organisationen, patriarchal strukturiert

Ein derartiges Umdenken fußt nicht nur in frauenpolitischen Motiven: Studien schreiben der "Diversität", die auch den Faktor Geschlecht miteinbezieht, einen großen Stellenwert für die Rentabilität und Entwicklung eines Unternehmens zu. Rational(isiert)e Organisationen, wie große Unternehmen sie sind, werden seit Ferguson (1984) als durchwegs patriarchal strukturiert, also ziel-, effizienz- und sachorientiert, aufgefasst - was auf der anderen Seite heißt, dass spezifisch weibliche Erfahrungen aus reproduktiver Arbeit ausgeschlossen werden. Zugleich haben sich in jüngster Zeit ausgehend von Kanters Theorie zu "Tokenism" (1977) - die besagt, dass eine weibliche Minderheit in einer Gruppe diskriminiertes Subjekt ist, das schwer mitbestimmen kann - etliche ForscherInnen mit dem Thema Frauenquote in Organisationen auseinandergesetzt: Wann verändern sich Strukturen und bringen Frauen Veränderung?

Wie viele Frauen braucht es?

Ob und mit welchem Frauenanteil grundlegende Veränderungen in der Unternehmensführung weg von Rationalisierungszwängen passieren, wollten nun auch ForscherInnen aus Norwegen und Italien wissen. Nachdem das norwegische Modell seit Jahren läuft, sei es an der Zeit für eine wissenschaftliche Evaluierung gewesen, schreiben die AutorInnen der Vergleichsstudie, Professor Morten Huse vom BI und Mariateresa Torchia sowie Andrea Calabrò von der Universität Rom Tor Vergata. Ihre Fragestellung: Gibt es eine "kritische Masse" Frauen, die erreicht werden muss, damit Veränderungen der patriarchalen Strukturen merkbar werden?

Die WissenschafterInnen untersuchten dazu 317 norwegische Unternehmen, in welchen die Aufsichtsräte zwischen sechs und elf Mitgliedern zählten und der Frauenanteil jeweils 49 Prozent nicht überschritt, und verglichen die Daten vor (2005) und nach der "Quoten-Wende" (2006). In 26 Prozent der Firmen hatte sich im Vergleichszeitraum nichts getan: Dort verließ man sich auf die alteingesessene Männerriege. In 28 Prozent der Räte war jeweils eine Frau vertreten, jeweils zwei Aufsichtsrätinnen fanden sich in weiteren 27 Prozent der Unternehmen, während in den restlichen 19 Prozent drei oder mehr Frauen vertreten waren.

An die Vorstandsvorsitzenden aller Unternehmen gaben Huse, Torchia und Calabrò Fragebögen aus, deren Zweck es war, betriebsinterne Entwicklungen abzuklopfen und zu überprüfen, ob diese mit dem Frauenanteil korrelieren: Die Befragten bewerteten auf einer Skala von 1 (trifft sehr stark zu) bis 7 (trifft überhaupt nicht zu), ob ihr Unternehmen im Untersuchungszeitraum innovative Managementsysteme und neue Geschäftsideen/-praktiken entwickelt hatte, umfassende Neuerungen im organisatorischen Bereich passiert sind oder Weiterbildungen für MitarbeiterInnen, die auf Kreativität und Entfaltung der Einzelnen abzielen, angeboten wurden.

Von der Quotenfrau zur "kritischen Masse"

Nach Abgleich der ausgewerteten Daten 
aus ausschließlich männlich besetzten Aufsichtsräten mit den Ergebnissen aus den unterschiedlich geschlechtsgemischten Gremien stellten die ForscherInnen fest: Erstens, es gibt Unterschiede - und zweitens, dass die als spezifisch weiblich definierten Inputs erst dann merklich auftreten, wenn mehr als ein oder zwei "Quotenfrauen" mitbestimmen. "Das weist darauf hin, dass sich Frauen in Vorständen, in welchen nur ein oder zwei weibliche Mitglieder sitzen, der bestehenden Kultur anpassen, und ihre spezifischen Beiträge nicht sichtbar werden", erklärt Huse. "Wenn diese Minderheit eine bestimmte Größe aber überschreitet, wird sie unabhängiger und hält an ihren Sichtweisen fest, und so werden die Beiträge der Minderheit sichtbarer". 

Die magische Grenze, an welcher sich die Minderheit der Frauen nicht mehr anpasst, machen die AutorInnen bei mindestens drei Frauen fest: Ab dann sind sie eine "kritische Masse". (bto/dieStandard.at, 17.3.2011)