Serbiens Kulturminister Nebojša Bradić (links beim Interview im Wiener Leopold-Museum) sieht Kultur als Diplomatie mit anderen Mitteln und als Weg, Vorurteile abzubauen und Versöhnung anzubahnen.

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Mit dem aktiven Theatermann sprach Josef Kirchengast.

STANDARD: Wenn Sie über die Donaubrücke in Belgrad fahren, schauen Sie lieber flussaufwärts oder flussabwärts?

Bradić: Üblicherweise schaue ich da geradeaus. Aber wenn ich am Donauufer stehe, halte ich sowohl flussaufwärts als auch flussabwärts Ausschau, vor allem nach der Landschaft, aber auch nach den Schiffen, die in beiden Richtungen verkehren.

STANDARD: Sie wissen natürlich, worauf ich anspiele: Sieht Serbien seine politische Zukunft, seinen Platz in Europa eher in Richtung Nordwesten oder mehr in Richtung Südosten?

Bradić: Die Donau ist ein Fluss, der viele Länder der Europäischen Union miteinander verbindet, und flussabwärts liegen zwei EU-Länder: Rumänien und Bulgarien. Natürlich konzentrieren sich unsere Prioritäten in Richtung jener Länder, zu denen wir traditionell gute kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen haben, und die liegen flussaufwärts, vor allem was die europäische Integration Serbiens und die EU-Donaustrategie angeht. Das betrifft besonders die kulturellen Beziehungen.

STANDARD: Gibt es da konkrete Projekte?

Bradić: Serbien wird heuer auf der Buchmesse in Leipzig (17. bis 20. März, Red.) im Fokus stehen und seine Literatur präsentieren. Das ist eine große Chance für die serbische Kultur und die serbischen Autoren, und ich bin überzeugt, dass wir diese Chance auch nutzen werden. Gleichzeitig ist es die bisher größte Veranstaltung, die serbische Kultur im deutschsprachigen Raum präsentiert. Vor allem für die jüngeren serbischen Autoren ist es sehr wichtig, ein größeres Publikum im deutschsprachigen Raum zu erreichen. Es wird zu einem besseren Verständnis dessen beitragen, was Serbien im modernen Europa ist. Es gibt viele Vorurteile gegenüber Serbien aus der Vergangenheit, und Kultur kann dazu beitragen, sie abzubauen. Kultur ist in diesem Sinn eine Art Diplomatie.

STANDARD: Sie haben bei der Wiener Konferenz über den geplanten Donau-Kulturcluster konkrete Projekte eingefordert und als gewissermaßen beispielhaft das serbische Projekt der Festungen entlang der Donau genannt. Worum geht es dabei?

Bradić: Entscheidend für den Donau-Cluster sind die Inhalte, die in seinem Rahmen transportiert werden. Das Projekt "Wege der Kultur - Festungen an der Donau" verbindet auf einem einzigartigen Kulturweg sieben Festungen entlang der Donau, aus der Antike stammende, ungarische, österreichische, osmanische und auch serbische (siehe Artikel rechts). Solche Projekte, die Beziehungen und Verknüpfungen zu unseren Nachbarn schaffen, halten wir für besonders wichtig. Der Rat der südosteuropäischen Kulturminister betont schon seit Jahren die Bedeutung solcher Projekte für die Versöhnung.

STANDARD: Auf der Wiener Konferenz wurde das Verbindende, teils aber auch immer noch Trennende des gemeinsamen kulturellen und historischen Erbes angesprochen. Es gibt schon einige Beispiele für die Überwindung historischer Konflikte, etwa die Versöhnungsinitiativen des serbischen Präsidenten Boris Tadić oder den von österreichischen und serbischen Historikern initiierten Felix-Kanitz-Verein, dessen Ziel es ist, Kulturerbe nie wieder als Grundlage für Feindschaft zuzulassen.

Bradić: Ich möchte noch zwei Beispiele für die Zusammenarbeit ehemaliger jugoslawischer Republiken hervorheben: Serbien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro haben bei der Unesco gemeinsam ein Weltkulturerbeprojekt eingereicht: mittelalterliche Grabsteine. Das zweite ist eine Biennale zeitgenössischer Kunst aus Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro. Sie findet heuer in den riesigen unterirdischen Bunkeranlagen von Konjic südlich von Sarajevo statt, die unter Tito während des Kalten Krieges errichtet wurden, und wird von der EU-Kommission unterstützt, als eines der innovativsten Projekte dieses Jahres. Das ist unglaublich dort - eine riesige Stadt im Berg.

STANDARD: Es ist offensichtlich leichter, ältere gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten als die ganz junge. Der Fall des Exgenerals Jovan Divjak, der in Österreich aufgrund eines serbischen Haftbefehls festgenommen wurde und inzwischen wieder auf freiem Fuß ist, aber Österreich nicht verlassen darf, belastet sowohl die Beziehungen zwischen Belgrad und Sarajevo als auch das inzwischen schon sehr gute Verhältnis zwischen Belgrad und Wien. Die serbische Justiz beschuldigt Divjak der Kriegsverbrechen, in Bosnien wird der einstige serbische General als "Befreier von Sarajevo" gefeiert.

Bradić: Es ist sehr wichtig, dass die Beziehungen zwischen Serbien und Österreich und auch zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina nicht durch tagesaktuelle Ereignisse belastet werden. Die Verfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrechen ist Sache der zuständigen juristischen Insti- tutionen.

STANDARD: Zeigen die Emotionen im Fall Divjak auf beiden Seiten nicht, dass der Nationalismus noch immer sehr lebendig ist?

Bradić: Nationalismus ist eine Pflanze, die sehr leicht erblühen kann. Er nährt sich vom Populismus und versucht die Errungenschaften der Zivilisation zu überdecken. Aber ich bin sicher, dass die Euro-Integration Vorrang vor der Vergangenheit hat.

STANDARD: Der Nationalismus als eine Pflanze, die schnell erblühen kann: Das erinnert an Charles Baudelaires "Blumen des Bösen" (Les Fleurs du mal), wiewohl es in den Gedichten um etwas anderes geht.

Bradić: Ja, das ist eine Blume des Bösen. Aber die Prioritäten der serbischen Regierung sind sehr klar: Versöhnung, Zusammenarbeit und europäische Integration. Die Regierung will alle Fragen auf konstruktive Weise lösen, und das wird auch in diesem Fall so sein. Und was am wichtigsten ist: Jeder soll seine Arbeit machen.

STANDARD: Versöhnung und Zusammenarbeit: Betrifft das auch die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo? Beide Seiten sprechen ja seit kurzem wieder miteinander, unter EU-Ägide in Brüssel. Wie sehen Sie die Zukunft zwischen Belgrad und Prishtina?

Bradić: Es ist sehr wichtig, dass die Gespräche begonnen haben. Wir sind substanziell daran interessiert, dass in diesem Dialog die schwierigen Lebensbedingungen der Serben dort diskutiert werden wie auch das Eigentum der Republik Serbien und das serbische kulturelle Erbe. Fortschritte in diesem Bereich sind möglich, wie immer einmal die Statusfrage gelöst wird. Erfolgreiche Gespräche sind aber im Interesse aller kosovarischen Bürger, weil sie die Lebensbedingungen der Menschen, die Wirtschafts- und Sozialpolitik und die interkulturelle Verständigung verbessern und fördern.

STANDARD: Hat sich Serbien im Grunde mit der Unabhängigkeit des Kosovo schon abgefunden?

Bradić: Die Position Serbiens ist unverändert.

STANDARD: Das bedeutet, der Kosovo bleibt untrennbarer Bestandteil der Republik Serbien?

Bradić: (schweigt.)

(Josef Kirchengast, DER STANDARD/CROSSOVER - Printausgabe, 15. März 2011)