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Die Abgeordnete Ria Oomen-Ruijten.

Foto: EPA/JULIEN WARNAND BELGIUM OUT

Ergenekon-Rätsel.

Screenshot Markus Bey

Die Dame vom niederländischen Christlich-demokratischen Aufruf (CDA) mit dem nicht unkomplizierten Doppelnamen Ria Oomen-Ruijten ist seit diesem Monat endgültig ein rotes Tuch für die türkische Regierung. Oomen-Ruijten und der Rest des Europaparlaments leben in einer anderen Welt, die es ihnen nicht ermöglicht, die Realität der türkischen Politik und Gesellschaft zu begreifen - so sieht es Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Tatsächlich aber hat die konservative EP-Abgeordnete der türkischen Führung mit ihrem jüngsten Entschließungsantrag einen wenig schmeichelhaften Spiegel vorgehalten. Die Affäre um die Journalisten, die im Gefolge der obskuren Ergenekon-Ermittlungen verhaftet wurden, stärkte dazu noch zwei zentrale Punkte der Entschließung des Straßburger Parlaments zum Stand der Reformen im Beitrittskandidatenland Türkei: "Verschlechterung der Pressefreiheit" (Punkt 8) und "unverhältnismäßige Einschränkungen der freien Meinungsäußerung sowie der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit" (Punkt 9).

Dass die immer weiter ausgreifenden, aber auch nach vier Jahren augenscheinlich ergebnislosen Ermittlungen der türkischen Justiz zu den Machenschaften des angeblichen nationalistischen Geheimbunds Ergenekon mittlerweile der konservativ-muslimischen Regierungspartei AKP nicht mehr helfen, sondern ihr zu schaden beginnen, hat auch Regierungschef Erdogan eingesehen. Er verlangte eine rasche Entscheidung im Fall der zuletzt inhaftierten Journalisten - insbesondere von Ahmet Şik und Nedim Şener, zwei investigativ arbeitenden Journalisten, die versuchten, Licht ins Dunkel von Ergenekon zu bringen, nun aber selbst laut ansonsten geheim gehaltener Anklage Mitglieder des Geheimbunds sein sollen. Während die regierungsfreundliche Presse allerlei Verbiegungen macht, um ihren Lesern eine Begründung für die Verhaftung der Ergenekon-Aufdecker aufzutischen, ging die Satirezeitschrift Penguen mit einem „Ergenekon-Rätsel" an die Kioske und drückte damit den allgemein herrschenden Überdruss der Türken an dem Komplott-Spektakel aus. In a nutshell: 2007 und 2010 tauchten Dokumente auf, die belegen sollen, dass führende Kreise in der Armee Anschläge, Diffamierungskampagnen und einen Konflikt mit Griechenland planten, um die seit November 2002 regierende AKP zu stürzen.

Das Ergenekon-Rätsel von links nach rechts: 1 - "Wir werden etwas nicht offenlegen können", 2 - „Eine Sache", 3 - "Eine andere Sache", 4 - "Prominenter/Bedeutendes auf einem Bild", 5 - "Wichtiges Element, dessen Namen wir nicht sagen können", 6 - "Etwas Geheimes in einer alten Sprache", 7 - „Wo hast du dieses Rätsel aufgegabelt?", 8 - "Wozu löst du dieses Rätsel?", 9 - "Wie viele Personen sind Sie?"

Oomen-Ruijtens Entschließungsantrag, am 17. Februar in Verkehr gebracht, am 9. März im Plenum des Europaparlaments angenommen, ist die Reaktion des Straßburger Parlaments auf den Bericht der EU-Kommission zum Fortschritt der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vom November 2010. Während der Kommissionsbericht weitgehend beschreibend die 33 Verhandlungskapitel durchgeht und Positives wie Negatives vermerkt, ist die Entschließung der Parlamentarier noch kommentierender und richtet Aufforderungen direkt an die türkische Regierung. Gezeichnet wird das Bild eines bei demokratischen Reformen stagnierenden, politisch überwiegend verharrenden Landes, das wesentliche Bedingungen, die beim Start der Beitrittsverhandlungen im Oktober 2005 gestellt wurden, ignoriert.

Der Text der Entschließung ist in fünf einführende Feststellungen und 58 darauf folgende Punkte zum Stand des Beitrittsprozesses gegliedert. Festgehalten wird dabei unter anderem, dass die Türkei seit fünf Jahren nicht das so genannte Ankara-Protokoll ratifiziert, das die Öffnung der See- und Flughäfen in der Türkei für die Republik Zypern mit sich brächte - das derzeit entscheidende Hindernis für die Öffnung neuer Verhandlungskapitel. Bei Punkt 40 verlangt das Europaparlament auch den Beginn des Abzugs türkischer Truppen aus Zypern, bei 42 den Stopp der Neuansiedlung türkischer Bürger im besetzten Nordteil der Insel.

Neben den erwähnten kritischen Bemerkungen zur Presse- und Meinungsfreiheit (Punkt 8 und 9), sieht das Parlament nur vorwiegend "symbolische Schritte" bei der Religionsfreiheit in der Türkei (Punkt 7). Peinlich für Ankara ist der Hinweis auf die ausstehende Unterzeichnung und Ratifizierung des so genannten "Rahmenabkommens zum Schutz nationaler Minderheiten" des Europarats aus dem Jahr 1995 unter Punkt 22, zumal die Türkei derzeit den Vorsitz des Europarats führt (auch Frankreich hat das Abkommen nicht unterzeichnet). Die Regierung Erdogan rühmte sich lange Zeit, den politischen Dialog mit den Kurden eröffnet zu haben; ähnlich wie in der Religionsfrage und bei der Normalisierung mit Armenien versandete aber auch diese Initiative. Die türkische Außenpolitik der „null Probleme mit den Nachbarn" müsse sich an den Werten der EU orientieren, heißt es in der Entschließung wohl mit Blick auf die Offerten der Türkei gegenüber dem Iran und Syrien, und insgesamt besser mit der EU-Außenpolitik abstimmen (Punkt 51).

Bestärkt wird die Regierung in dem Vorhaben, das "polarisierende" Kopftuchverbot an den türkischen Universitäten fallen zu lassen (Punkt 33). Andererseits stellt sich das Europaparlament hinter die durchaus diskutable Visa-Politik der EU-Staaten gegenüber der Türkei: Erst wenn die türkische Regierung das Abkommen zu Rücknahme von Flüchtlingen auch umgesetzt hat, soll ein "Dialog" über die Reform des Visazwangs für türkische Bürger, die in die EU reisen wollen, "eröffnet" werden. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu machte keinen Hehl daraus, dass er sich durch diese Sprachregelung der EU-Innenminister genarrt fühlte. Er wollte ein beiderseitiges Geschäft: die Türkei unterzeichnet das Rücknahmeabkommen, die EU die stufenweise Visa-Erleichterung.