Katastrophen wie jene von Tschernobyl und die Ereignisse in japanischen Kernkraftwerken führen drastisch vor Augen, dass die Nutzung von Atomkraft erhebliche Risken birgt. Denn die zentralen Fragen sind nicht eindeutig zu beantworten: Ist die Technik beherrschbar? Können Kernkraftwerke sicher betrieben werden? Kann eine sichere Entsorgung gewährleistet werden? Da kein Experte eine absolut gesicherte Antwort geben kann, ist die Atomkraft eine technische Glaubensfrage.

Aber auf den Glauben allein darf man sich nicht verlassen. Deshalb ist eine Überprüfung der Kernkraftwerke in Europa das Mindeste, was jetzt in Angriff genommen werden muss. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat noch am Samstagabend bei einem Krisengipfel im Kanzleramt eine Überprüfung der 17 Atomkraftwerke im Land angekündigt. An der erst im Herbst vereinbarten Verlängerung der Laufzeit der Atommeiler um durchschnittlich zwölf Jahre will sie festhalten. Ob die promovierte Physikerin diese Forderung durchhalten wird, darf bezweifelt werden - zumal in Deutschland ein Superwahljahr angelaufen ist und zehntausende Atomkraftgegner an diesem Wochenende bereits auf den Straßen protestierten.

Es ist Sache der EU, eine Überprüfung aller Atommeiler in Europa zu veranlassen. Da im Katastrophenfall nicht ein einziger Staat betroffen wäre, ist das keine Angelegenheit von Nationalstaaten, sondern geht die ganze Gemeinschaft etwas an. Deshalb geht der Vorschlag von Umweltminister Nikolaus Berlakovich, einen europaweiten Stresstest für AKWs durchzuführen, in die richtige Richtung.

Aber österreichische Politiker machen es sich in ihrem Anti-Atom-Kampf etwas zu leicht. Denn seit Jahren werden Sicherheitsbedenken laut vorgetragen, wenn es um Kernkraftwerke in Osteuropa wie Mochovce oder Temelín geht. Aber wenn es sich um deutsche AKWs handelt, dann ist die Kritik verhaltener - oder wird erst gar nicht geübt. Seit Jahren ist bekannt, dass das deutsche AKW Neckarwestheim in Baden-Württemberg in einem erdbebengefährdeten Gebiet liegt. In Zusammenhang mit dem nahe an der Grenze zu Österreich liegenden bayerischen AKW Isar wurde immer wieder auf die Gefahr verwiesen, dass der Atommeiler in der Nähe des Münchner Flughafens liegt und unzureichend gegen Abstürze gesichert sei. Nach Einschätzung des früheren Chefs der deutschen Bundesatomaufsicht, Wolfgang Renneberg, ist kein deutsches AKWsicher. Die österreichische Bundesregierung hat zwar gegen die Verlängerung der Laufzeiten von deutschen Kernkraftwerken protestiert - aber keine konkreten Schritte unternommen.

Österreich ist im Gegenzug zu fast allen anderen Staaten weltweit in der glücklichen Lage, auf Wasserkraft bauen zu können. Getan werden müsste aber viel mehr. Zwar wird hierzulande die Illusion vom grünen Musterland genährt, aber Österreich ist im internationalen Vergleich an vielen Fronten gescheitert: Österreich kann das von der EU-Kommission vorgegebene Ziel, bis 2020 insgesamt 34 Prozent des Energieverbrauchs über Alternativenergien bereitzustellen, nicht erreichen. Nicht annähernd sind auch die Treibhausgas-Einsparziele im Bereich von CO2 bis 2020 zu schaffen.

Deshalb sollte Österreich nicht nur einen Anti-Atom-Feldzug gegen ausländische Staaten führen, sondern auch selbst die ökologischen Hausaufgaben machen. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Printausgabe, 14.3.2011)