"Heimische" Kulturpflanzen. Zum Leidwesen mancher Traditionalisten stammt es aus dem Ausland.

Foto: Landesmuseum Niederösterreich

Kuratorin Beate Koller weist nach, dass erst aus der Bewegung Beständigkeit kommt.

St. Pölten - Der Begriff Kultur hat laut Beate Koller nichts mit Opernbesuchen oder Ölbildern zu tun. Er leite sich aus dem lateinischen "agrum colere" ab, und das bedeutet "das Feld bestellen". Wer also schon vor gut zehntausend Jahren nach dem Konzert oder Theater schön und ausgewogen essen gehen wollte, ohne vorher ein Tier erlegen zu müssen, um es dann mit mühsam gesuchten Wildpflanzen und Beeren zu kombinieren, musste sich schon frühzeitig mit einem Konzept auseinandersetzen: jenem der zumindest temporären Sesshaftigkeit.

Zwar hielten Nomadenvölker noch lange an dem Sprichwort fest: "Überfall ist unsere Landwirtschaft." Doch der Mensch ist bequem. Er baut sich gern eine feste Burg und mag nicht dauernd strawanzen. Zumindest ein paar Generationen lang.

Die gemeinsame Geschichte von Mensch und Pflanze setzt also zu jenem Zeitpunkt ein, als die Menschen Pflanzen bewusst anzubauen begannen, um genügend Nahrung zu haben.

Die studierte Botanikerin Beate Koller arbeitet in der Arche Noah in Schiltern nahe Krems. Als Mitglied der "Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihre Entwicklung" kuratiert sie nun im Landesmuseum Niederösterreich in St. Pölten die Ausstellung Kraut & Rüben. Diese führt am Beispiel 100 regionaler Pflanzen nicht nur vor, wie groß der Sortenreichtum verschiedener Arten in unseren Breiten im Lauf der Geschichte durch die Einwirkung des Menschen wurde. Der Schwerpunkt liegt hier etwa auf Erdäpfeln, Mais oder Salat, auf Obst und Rüben. - Man will vor allem auch aufzeigen, dass es mit Begriffen wie Tradition und Alteingesessenheit so eine Sache ist.

Migration und Diversität

Beate Koller: "Indem der Mensch über die Jahrtausende Pflanzen von einem Ort zum anderen bringt, kann sich erst Vielfalt entwickeln. Nur in neuen Anbauregionen entsteht Neues. Das ist wichtig im Zusammenhang mit diesem komischen Gedanken, nur 'heimische' Pflanzen essen zu wollen. Heimisches Obst und Gemüse existieren nicht. Die Migration der Menschen und Pflanzen bereichert die Diversität."

Der pädagogische Ansatz der Ausstellung ist demnach auch ein politischer.

Beate Koller: "Wenn man immer nur heimische Sorten isst, wird man ziemlich schlank bleiben. Allerdings ist es auch wichtig zu zeigen, dass Pflanzen in unseren Breiten ihre Geschichte haben. Es gibt in Österreich seit Generationen Familien, die mit der Herstellung und damit dem Erhalt bestimmter Sorten eng verbunden sind. Kontinuität im Anbau ist ebenso wichtig wie die Weiterentwicklung über Züchtung."

In den Gärten der Arche Noah in Schiltern verfolgt man diesbezüglich seit 20 Jahren auch ein anderes Ziel. Der Mensch ist nicht nur für die Vielfalt der Kulturpflanzen verantwortlich. Die vor nicht einmal 150 Jahren einsetzende Industrialisierung der Landwirtschaft bedingt auch, dass der Artenreichtum aufgrund der Anbaumethoden längst wieder zu verschwinden droht. Mais und Soja bedrohen in ihrer Übermacht die Welt. Biosprit ist ein ernstes Problem. Dagegen wirkt heute selbst die berüchtigte Glashaustomate aus den Niederlanden eher niedlich.

Von weltweit geschätzten 300.000 höheren Pflanzen sind über den Menschen drei- bis viertausend davon Kulturpflanzen geworden. Der Mensch begann sich für sie zu interessieren, weil sie etwa keine Stacheln, keinen bitteren Milchsaft und große Früchte sowie guten Geschmack vorwiesen. Heute beschränkt man sich oft auf den reinen Ertrag.

Die Gefahr, Kulturpflanzen als solche nicht mehr wahrzunehmen, ist heute im Supermarkt allgegenwärtig. Teilweise würden Kunden nicht einmal mehr wissen, dass unter all dem Plastik tatsächlich pflanzliche Produkte stecken. Von der Gottesgabe des Mais an das Volk der Maya bis zu widernatürlichen Verwendung als Futter in den US-Fleischfabriken war es ein weiter Weg. Davon, dass unter anderem auch deswegen ein Teil der Menschheit mit Übergewicht und der andere mit Hunger zu kämpfen hat, gar nicht zu sprechen.

Altes Know-how im Anbau lokaler Sorten geht heute ebenso verloren wie überhaupt das Wissen, wie aus einem Samen eine Pflanze entsteht beziehungsweise wie man Samen gewinnt. Dass ein Bauer heute auch gleichzeitig Züchter ist und seine eigenen Samen aus dem Anbau zieht und damit auch für Sortenreichtum und Nischenprodukte sorgt, ist zur Seltenheit geworden.

Beate Koller: "Das Paradies, das sich die Menschen vorstellen, hatte immer schon mit Ernährung zu tun. Das rührt aus Hungerzeiten."

Heutzutage kann man auch von Hungerzeiten an Leib und Seele sprechen. Sie sind kulturell und ökonomisch bedingt. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 12./13. März 2011)