Freddy Koella "undone" (tôt Ou tard, 2011)

Cover: tôt Ou tard

Nicht nur auf der elektrischen Gitarre, sondern auch solo auf akustischen Instrumenten ein Könner: Freddy Koella.

Foto: MEYER

Unberechenbarkeit garantiert: Freddy Koella (rechts) mit Bob Dylan und dessen langjährigem Bassisten Tony Garnier live auf der Bühne des New Orleans Jazz & Heritage Festival im Jahr 2003.

Foto: www.freddykoella.com

Freddy Koella war "der beste elektrische Lead-Gitarrist, den Bob Dylan je hatte (und ist möglicherweise der beste elektrische Gitarrist überhaupt seit der Blütezeit von Hubert Sumlin)". So lautet der Eintrag für den aus Frankreich stammenden Musiker in der "Bob Dylan Encyclopedia" des für seine sonst nicht gerade zimperlichen Urteile bekannten britischen Autors Michael Gray. Fast zwölf Jahre lang war Koella der Gitarrist des 2009 viel zu früh verstorbenen, großen Rock-Exzentrikers Willy DeVille, der ebenfalls nur höchstes Lob für seinen Begleiter hatte und ihm eine Art zweite Hauptrolle einräumte: "Er kann alles, sein Spiel ist sehr subtil, sehr sophisticated".

Überraschenderweise war es kein elektrisches, sondern ein akustisches Debüt-Album, mit dem sich der in Mulhouse im Elsaß aufgewachsene, heute in Los Angeles lebende Musiker nach einer krankheitsbedingten Arbeitspause 2005 als Solo-Künstler vorstellte: Minimal führte aber auch zur Zusammenarbeit mit den Singer/Songwriterinnen k.d. lang, Lhasa de Sela und Carla Bruni. Über seine an Haken reiche Biografie und sein nun erschienenes zweites Solo-Album undone, das ihn erneut als einen Meister weniger, dafür gekonnt gesetzter Töne zeigt, gab Koella in einem Interview mit derStandard.at Auskunft.

derStandard.at: Sie haben in den letzten Jahren sowohl in den USA als auch in Frankreich gearbeitet.

Koella: Es ist schon komisch, aber der Umstand, dass ich mit Dylan gearbeitet habe, hat dazu geführt, dass in Frankreich ein Licht angegangen ist: "Wow, Freddy hat mit Dylan gespielt!" Das hat mir viele Jobs mit französischen Musikern eingebracht, die dafür aber großteils nach Los Angeles kamen. 2008 und 2009 bin ich auch mit Francis Cabrel, der in Frankreich sehr bekannt ist, auf Tournee gegangen.

derStandard.at: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, in die USA zu gehen? Ihre erste Anlaufstation war New Orleans?

Koella: Ja, das war 1979. Ich spielte in einer Cover-Band im Elsaß und sagte den anderen, ich muss nach New Orleans. Es war im November oder Dezember, und ich kannte niemanden in den USA. Es war ein Abenteuer, und es war großartig. Danach ging ich nochmals nach Frankreich zurück, aber ich hatte nur New Orleans im Kopf. Als ich die Gelegenheit bekam, mit dem Cajun-Musiker Zachary Richard zu spielen, habe ich kein zweites Mal überlegt, ich ging ganz einfach.

derStandard.at: New Orleans ist stark von französischen Einflüssen geprägt. War das etwas, woran sie anknüpfen konnten?

Koella: Ja, allein der Umstand, dass es in New Orlenas so viele französische Namen und französisch-gefärbte Aspekte der Alltagskultur gibt, die Cajun-Music natürlich - keine Frage, es gibt da eine Verbindung.

derStandard.at: New Orleans ist bekannt für spezielle Rhythmen wie den Second Line Beat, der für Leute von außerhalb normalerweise schwer zu beherrschen ist. Sie hatten offenbar kein Problem damit.

Koella: Für mich sind Rhythmen und Grooves sehr, sehr wichtig, ein natürlicher Teil meines Ausdrucks. Die Lockerheit des Second Line Beat passte mir sehr gut. Es fühlte sich natürlich für mich an, in dieses Genre reinzugehen. Als ich das erste Mal in New Orleans war, habe ich viel Little Feat gehört, die ja ständig mit New-Orleans-Rhythmen arbeiteten. Ich hatte dieses Aha-Erlebnis: Ah, jetzt weiß ich, woher das alles kommt!

derStandard.at: Welche Musik haben Sie gehört, als sie aufwuchsen?

Koella: Ich war immer von klassischer Musik umgeben, weil mein Vater ein großer Klassik-Fan war, ein echter Bach-Freak. Ich habe diese Musik ständig gehört und sie hat mich beeinflusst, selbst wenn ich es damals nicht gemerkt habe. Als ich elf war, habe ich auf Urlaub in der Schweiz "In the Mood" von Glenn Miller gehört. Mir gefiel das Blues-Pattern, der Swing, der coole Zugang - das war wahrscheinlich der Auslöser, warum ich mich etwas später dem Blues widmete. In der Zwischenzeit begann ich mit klassischer Gitarre, konnte aber nicht viel damit anfangen. Mit 14 lernte ich Geige zu spielen, das war besser. Als ich 15 war, brachte meine Schwester Blues-Platten nach Hause. Das war es dann.

derStandard.at: Welche Platten waren das?

Koella: Sonny Terry und Brownie McGhee, Lightnin' Hopkins, J. B. Lenoir, aber auch Fats Domino. Außerdem Earl Hooker. Ich war völlig davon fasziniert! Das ist seltsam, denn der soziale Aspekte dieser Musik hätte mich eigentlich nicht ansprechen sollen. Ich wuchs in behüteten Mittelklasse-Verhältnissen auf, ich hatte es sehr bequem, keinerlei Geldprobleme.

derStandard.at: Was kam als nächstes, Rock-Musik?

Koella: Ja klar, dann kam B.B. King, der mehr Band-orientiert war, natürlich die Rolling Stones, Led Zeppelin, Eric Clapton, Jimi Hendrix natürlich. Ich war nie ein Beatles-Fan, obwohl ich natürlich bewundere, was sie gemacht haben. Aber ich war mehr ein Stones-Typ, wegen des Blues-Faktors. Ich mochte auch Peter Green, danach Ry Cooder und ganz besonders Lowell George von Little Feat.

derStandard.at: Wie Lowell George spielen auch Sie Slide-Gitarre.

Koella: Ich begann damit als ich 16, 17 Jahre alt war. Die Slide-Gitarre gehört für mich zur selben Familie wie die Geige, man kann sich damit auf eine ähnliche Art ausdrücken. Es war ein natürlicher Schritt für mich.

derStandard.at: Sie haben sehr lange mit Willy DeVille, der damals ebenfalls nach New Orleans zog, gespielt und sind der wohl bekannteste seiner Musiker.

Koella: Ich habe 1982/83 ca. ein Jahr mit Zachary Richard gespielt. Dann stellte ein Freund von mir in Frankreich eine Band zusammen und wir hatten diesen großen Erfolg ("Femme libérée" mit Cookie Dingler, Anm.). Das dauerte ungefähr bis 1986/87. Dann wurde es schwierig. Ich spielte in einer Blues-Band in Frankreich, Belgien, Deutschland und in der Schweiz. Es wurde langsam etwas, aber wir spielten nur Cover-Versionen und es wurde mir klar, dass das nicht das Richtige für mich ist. Ich wollte wieder nach New Orleans.

Genau zu dieser Zeit rief ein Freund von mir, der (ebenfalls aus Frankreich stammende, Anm.) Gitarrenbauer James Trussart, an und sagte mir, dass Willy DeVille einen Gitarristen sucht. Eigentlich wollte er Sonny Landreth, den Slide-Gitarristen aus Lafayette, der aber ablehnte. Also meinte James, ich solle DeVille anrufen, und das habe ich dann auch gemacht, von Frankreich aus. Und Willy sagte: "Schick' mir doch eine Kassette mit dem, was du so machst". Daraufhin habe ich ihm Solo-Aufnahmen, die ich mit einem Vierspurgerät gemacht habe, gesandt. Als ich wieder anrief, meinte Willy: "Das ist wirklich gut, komm ganz einfach!" Als ich ihn dann getroffen haben, hat es einfach gepasst, von Anfang an.

Er arbeitete damals gerade an dem Album Victory Mixture und lud mich ein, gleich mitzuspielen. Danach ging es auf Tour und er sagte: Freddy, come on! Das war der Anfang. Willy war sehr großzügig. Man musste ihm nichts beweisen, sondern man hatte das Gefühl, dass er einem vertraut.

derStandard.at: Er ließ Ihnen also viel Freiheit.

Koella: Ja! Was er mochte, mochte ich auch. Wir mussten nicht über die Musik reden. Ich musste überhaupt nichts ändern. Klar, ich musste lernen, mit einem guten Sänger zu spielen, nicht zu viel zu spielen, ihm auf die beste Art und Weise zu folgen. Das ist ein Lernprozess. Aber ich hatte eine großartige Zeit mit ihm, das muss ich wirklich sagen.

derStandard.at: 2003 und 2004 haben Sie in Bob Dylans Live-Band gespielt. Wie kam es dazu?

Koella: Das war schon wieder James Trussart! Er ist mein verborgener Engel. Er ist sehr gut vernetzt, extroviert, was ich nicht bin. Ich half ihm damals gerade in seiner Werkstatt, als Tony Garnier, Bob Dylans Bandleader reinkam, um sich seinen Bass abzuholen. Er erzählte, dass sie gerade in Santa Monica proben und einen neuen Gitarristen ausprobieren. Er wirkte aber nicht sehr enthusiastisch. Als er ging, drehte sich James zu mir und sagte: "Freddy, du solltest zu dieser Audition gehen, das ist was für dich!" Also rief er Tony an, der es Dylan ausrichtete. Sie luden mich dann in das Probenstudio ein, das vielleicht fünf Minuten von mir zu Hause weg war. Es war wie wenn du in ein Lokal in der Nachbarschaft gehst, und es lief sehr gut. Es war wie mit Willy, es hat ganz einfach gepasst.

derStandard.at: Manche von Dylans Gitarristen wirken eingeschüchtert, Sie hatten aber offenbar viel Spaß auf der Bühne und sorgten mit unberechenbaren, stets frisch wirkenden Soli für Aufsehen.

Koella: Ich wusste, dass er alte Blues-Sachen mag, genauso wie ich, und das versuchte ich zu kommunizieren, dem Publikum, mir selbst und auch Dylan. I just went for it!

derStandard.at: Sie mussten bei Dylan aufhören, weil sie gesundheitliche Probleme hatten.

Koella: Ich hatte ein Nierenversagen und konnte fast ein Jahr nicht arbeiten.

derStandard.at: Danach haben Sie Ihr erstes Solo-Album eingespielt ...

Koella: ... um mich aus meiner Misere rauszuholen. Das hat mir wirklich sehr geholfen. Es war der beste Schritt überhaupt. Man hört auf dem Album (Minimal), wer ich bin, weil es solo aufgenommen wurde. Leute wie Lhasa De Sela, k.d. lang und Carla Bruni haben es gehört und dann mit mir zusammengearbeitet.

derStandard.at: Sie haben auf Carla Brunis letztem Album Comme Si de Rien N'Etait gespielt.

Koella: Das war in Paris, alle Musiker waren dort, wir haben es live aufgenommen. Ich habe vor allem ihre Gitarren-Parts eingespielt. Im vergangenen Monat haben wir uns wieder fünf Tage lang getroffen, um zu zweit die Grundlagen für neue Songs zu erarbeiten. Es war toll, sie ist wirklich gut. Sie hat ein gutes Gefühl und ist auch auf der Seite der Träumer, was es leicht für mich macht.

derStandard.at: Auf ihren Solo-Alben kommen Sie mit ganz wenigen Tönen aus, mit denen Sie dennoch eine sehr dichte Atmosphäre evozieren.

Koella: Ich könnte nicht viel mehr Töne spielen, selbst wenn ich es wollte. Das heißt, ich könnte schon ein paar Töne mehr spielen, aber mit der Zeit konzentriert man sich auf das, worauf es ankommt. Ich liebe es zu träumen, und das ist, was ich in meiner Musik mache. Ich bin ein Handwerker, und ich mag es, Dinge zu bauen. So gehe ich auch mit Tönen um, und schaue drauf, dass es für meine Ohren passt.

derStandard.at: Egal ob mit der akustischen oder der elektrischen Gitarre, spielen Sie manchmal ein ungewöhnlich langsames Vibrato, halb so schnell wie es die meisten Gitarristen anlegen würden.

Koella: Das kommt daher, dass ich auch Geige spiele. Das Vibrato ist sehr wichtig für mich, es ist entscheidend, um die Aufmerksamkeit auf die Musik zu lenken. Ich spiele damit, und Sie haben recht, ich mag ein langsames, verträumtes Vibrato, wie sanfte Wellen.

derStandard.at: Auf einigen Stücken Ihres neuen Albums undone spielt eine hochkarätige Rhythmus-Gruppe, David Piltch am Bass und Jay Bellerose am Schlagzeug, die beide auch für ihre Zusammenarbeit mit T Bone Burnett und Joe Henry bekannt sind

Koella: Sie sind perfekt für mich. Irgendwie brauche ich Jazz Guys, um meine Sachen zu spielen, auch wenn es nicht wirklich Jazz ist. Aber es es geht um ein Jazz Mindset: offen zu sein und kreativ, keine Angst davor zu haben, die Gleise zu verlassen. Die Sessions liefen wirklich gut, wir haben diese fünf Titel in einem einzigen Tag eingespielt. Ich hoffe, dass ich mit ihnen auch live spielen kann.

derStandard.at: Sie haben in den vergangenen Jahren auch als Produzent gearbeitet, etwa mit den Subdudes für das Album Miracle Mule.

Koella: Die Subdudes sind sehr von New Orleans beeinflusst, ein paar von ihnen kommen von dort. Wir hatten eine gute Zeit miteinander. Auch das kam durch Bob Dylan zustande. Sobald man mit ihm spielt, heißt es huhuhu. Dabei habe ich nichts verändert, ich bin derselbe wie früher. (Karl Gedlicka, derStandard.at, 20. März 2011)