Wien - Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker ist übel beleumundet. Denn das erste fand als "Außerordentliches Konzert" am 31. Dezember 1939 statt. Dirigent des Walzer-Reigens war Clemens Krauss, ein Intimus von Reichsminister Joseph Goebbels.

Von 1929 bis 1934 Direktor der Wiener Staatsoper, hatte Krauss im Dritten Reich zahlreiche Tätigkeiten inne. Beispielsweise wurde er am 13. Juni 1939 zum Oberleiter des Mozarteums ernannt. Zwei Monate später spielten die Wiener Philharmoniker unter seiner Leitung bei den Salzburger Festspielen Werke von Johann Strauß. Und eben dieses Programm wiederholten sie am 31. Dezember 1939 im Goldenen Saal des Musikvereins.

Auf Krauss geht also das in alle Welt vermarktete Konzert zurück, das seit 1941 am Neujahrstag gegeben wird. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs stand Krauss auf der Gottbegnadeten-Liste, was ihn vom Kriegseinsatz befreite. 1945 wurde Krauss zwar mit Berufsverbot belegt. Doch ab 1947 dirigierte er wieder die Philharmoniker und an der Staatsoper.

Hinzu kam, dass die Nationalsozialisten die "nichtarische Abstammung" des Walzerkönigs verschleierten: In Goebbels Auftrag wurde das decouvrierende Trauungsbuch des Wiener Dompfarramts beschlagnahmt und durch eine gefälschte Kopie ersetzt.

War das Neujahrskonzert also eine Erfindung des NS-Regimes? Clemens Hellsberg, der Vorstand der Philharmoniker, widerspricht heftig. Für ihn ist es das Produkt einer "musiksoziologischen Entwicklung": 1921 spielten die Philharmoniker bei der Enthüllung des Strauß-Denkmals im Wiener Stadtpark; 1925 beendete das Orchester erstmals ein Konzert mit dem Donauwalzer. 1926 brachten die Salzburger Festspiele die Operette Die Fledermaus heraus. Und Krauss, der im gleichen Jahr bei den Festspielen debütierte, gab in der Folge mehrere Strauss-Konzerte. In der Chronologie der Festspiele zum Konzert 1939 heißt es, dass Krauss "eine alte Tradition" wieder aufgenommen hätte.

Für Hellsberg haben diese Konzerte daher "nichts mit der NS-Ideologie" zu tun. Wenngleich die Philharmoniker eine ziemlich ruhmlose Vergangenheit haben. Und diese ist nun wieder Gegenstand der Debatte: Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen, meinte in der Presse, dass die Philharmoniker "den Stellenwert des Umgangs mit der eigenen Vergangenheit noch immer nicht kapiert" hätten. Denn das Archiv des "Staatsorchesters" - die Philharmoniker sind allerdings ein privater Verein - sei "noch immer nicht öffentlich zugänglich".

Hellsberg bezeichnet die Vorwürfe als "völligen Blödsinn": Seit einer Kritik des Historikers Oliver Rathkolb stehe das Archiv jedem offen. Er versichert, dass kein Material zurückgehalten werde, das meiste sei längst publiziert worden. Demnächst erscheint z. B. von Fritz Trümpi das Buch Politisierte Orchester. Die Wiener und Berliner Philharmoniker im Nationalsozialismus bei Böhlau.

Walser aber drängt die Philharmoniker, ein umfangreiches Forschungsprojekt in Auftrag zu geben. Untersucht werden sollten seiner Meinung nach auch die Provenienzen der Instrumente und der vorhandenen Artefakte. Hellsberg kann dem Vorschlag nichts abgewinnen: "Walser kann gerne forschen, aber wir geben kein Projekt in Auftrag."

Zündstoff gibt es also genug für das von Rathkolb organisierte Symposion Musik, Politik und der Nationalsozialismus in Europa, das am Donnerstag (ab 15 Uhr) und Freitag im Französischen Kulturinstitut stattfindet. Denn ebendort ist die 2008 zusammengestellte Schau über die Staatsoper in der NS-Zeit bis 10. April in modifizierter Form zu sehen. (Thomas Trenkler/ DER STANDARD, Printausgabe, 10.3.2011)