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"Wir sponsern nicht. Die meisten Dinge von uns sind erfunden."

Foto: REUTERS/Calle Toernstroem

Er machte Sebastian Vettel zum Formel-1-Weltmeister, er unterstützt weltweit rund 600 Sportler, er erfindet neue Sportarten wie Crashed Ice oder das Air Race: Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz ist nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch ein Sport-Verrückter. Im Interview spricht der 66 Jahre alte Milliardär über sein Verhältnis zu Sebastian Vettel, neue Ziele und den Traum vom Champions-League-Titel.

"Nach Sebastian Vettels Triumph in Abu Dhabi war es noch ein bisschen surreal. Haben Sie inzwischen realisiert, dass Red Bull und Weltmeister inzwischen in einem Atemzug genannt werden?"

Dietrich Mateschitz: "Ja, denn so überraschend war es ja nicht. Wenn wir auf 2009 zurückgehen, das erste Halbjahr weglassen mit der Geschichte des Doppel-Diffusors, die ja ein bisschen suspekt war, waren wir schon im zweiten Halbjahr das führende Team. Das haben wir 2010 einfach fortgesetzt. In Abu Dhabi hatten wir schon den Konstrukteurs-Titel gewonnen. Wir waren also schon einigermaßen erfahren im Umgang damit, gut zu sein. Der Fahrer-Titel - natürlich glaube ich fast, dass er vom Image her der wichtigere ist - stand in den Sternen, nicht zuletzt aufgrund unserer Philosophie, die wir vertreten haben. Wir hatten darauf gehofft, aber nicht mehr wirklich damit gerechnet. Wenn du dann nicht nur Weltmeister wirst, sondern wie du Weltmeister wirst, das war der i-Punkt auf dem Ganzen. Das ist das, was uns wirklich unglaublich gefreut und euphorisch gemacht und die Richtigkeit unserer Philosophie bestätigt hat. Das war schon ein großer Augenblick."

"Und wie ist es jetzt?"

Mateschitz: "Jetzt ist der Winter vorbei, wir sind in einer ganz neuen Rolle. Wir waren in den letzten Jahren immer in der Rolle des Jägers, jetzt sind wir die Gejagten. Es sind zwei unterschiedliche Dinge, eine Top-Position zu erreichen oder dann diese auch zu halten. Das ist etwas ganz anderes, und das gelingt uns jetzt seit eineinhalb Jahren. Wenn man sich die ersten Testtage ansieht, haben wir dieses Niveau vielleicht sogar gehalten. Jeder pokert, jeder hat noch etwas in Reserve. Aber es schaut zumindest schon einmal gut aus. Also gehen wir auch in dieses Jahr mit einem hohen Maß an Optimismus. Ob es so bleiben wird, werden wir sehen. Dass man das nicht weiß, macht es nur spannender."

"Sie sprachen Ihre Philosophie an und die Genugtuung, gerade mit dieser Philosophie, beide Fahrer gleich zu behandeln, Weltmeister geworden zu sein. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass Sie diese Philosophie weiter verfolgen und auch Sebastian Vettel als Weltmeister keinerlei Vorteile gegenüber Teamkollege Mark Webber hat?"

Mateschitz: "Ohne Frage. Das weiß der Mark, das weiß der Sebastian. Das muss man sich wieder aufs Neue erarbeiten. Ich würde gar nicht von Genugtuung sprechen. Genugtuung inkludiert so etwas Negatives wie Schadenfreude. Davon sind wir weit entfernt. Es bestätigt eher, als dass es eine Genugtuung ist. Und für dieses Jahr ist es wieder eine völlig neue Herausforderung. Mark ist ja als Fahrer, als Persönlichkeit, in seiner Stärke nur anders, aber nicht schlechter als Sebastian. Ich habe die beiden früher oft verglichen mit Winnetou und Jung-Siegfried. Beide sind hervorragende Krieger, nur die Art und Weise, die Persönlichkeit ist unterschiedlich. Aber einen Krieg kann man mit beiden gewinnen, in dieser Symbolsprache. Darum gibt es auch in diesem Jahr für uns keine Wertung, kein Rating. Es kann sich bestätigen, dass wieder Sebastian um diese Nuance vorne sein wird. Aber das findet dann ohnehin in den Ergebnissen und Punkten seinen Niederschlag. Er ist aber auch keine Maschine, die immer zu diesen Höchstleistungen fähig sein wird. Es kommt ein bisschen Glück dazu, es kommen ein bisschen technische Probleme dazu. Ich hoffe, es bleibt wieder während des ganzen Jahres spannend. Wer dann zum Schluss die Nase vorn haben wird, hängt von so vielen Faktoren ab. Wir sind ja keine Wahrsager, dass wir das vorher wissen. Aber von Hause aus sind beide dahingehend gleichberechtigt, dass beide dasselbe Material haben werden."

"Sebastian Vettel hat mit seinem Erfolg natürlich jetzt auch Begehrlichkeiten bei anderen Teams geweckt, die die Fühler nach ihm ausstrecken. Haben Sie Angst, dass er irgendwann Red Bull den Rücken kehren könnte?"

Mateschitz: "Das hat nichts mit Angst zu tun. Wir schätzen den Sebastian so sehr. Wenn er möchte, wenn er ein Angebot hat, wenn er sagt, er möchte auch einmal in einem Mercedes, in einem Ferrari fahren, dafür hätten wir ja Verständnis. Es gibt mehr Mütter mit feschen Töchtern. Wir würden ihn ziehen lassen. Wir wollen ihn ja gar nicht halten, schon gar nicht, dass wir eine Angst haben, ihn nicht halten zu können. Das Rezept ist furchtbar einfach: Wir werden versuchen, dem Sebastian ein Auto zur Verfügung zu stellen, mit dem er gewinnen kann. In dem Moment wird er sich bei uns wohlfühlen. Wenn wir nicht imstande sind, ihm ein Siegerauto zu geben, dann ist es sein gutes Recht, zu verlangen: 'Entweder ihr gebt mir ein gutes Auto oder ich gehe woanders hin, denn ich habe so viele gute Angebote.' Ich würde ihm auch persönlich nie etwas in den Weg legen. Man legt uns etwas in den Mund, was völlig falsch ist. Was machen wir, damit wir ihn halten? Habe ich Angst, ihn zu verlieren? Das ist eine Terminologie, die ist uns völlig fremd. Es geht darum, dass solange sich Sebastian bei uns wohlfühlt und ein Auto hat, mit dem er gewinnen kann, er wahrscheinlich nicht wirklich überlegt, woanders hinzugehen. Und wenn wir das nicht machen, bin ich der Erste, der sagt: 'Wir haben im Moment kein Auto, es schaut auch nicht so aus, als ob wir es in vier oder in fünf Rennen hätten. Führ andere Gespräche!'"

"Darauf würden viele andere Teams hoffen ..."

Mateschitz: "Natürlich rennen sie ihm alle die Tür ein. Aber Sebastian hat kürzlich etwas unglaublich nettes und lustiges zu mir gesagt. Er wurde wieder klassischerweise auf die Farbe Rot angesprochen, wie er das und auch Ferrari sieht. Nach seinen ersten Runden im neuen Auto hat er sich dann gedacht: 'Das Blau, das ich vor mir sehe, ist wunderschön.' Er sagte: 'Der Himmel ist blau, das Meer ist blau, eigentlich ist Blau meine Farbe. Wenn ich an Rot denke, fällt mir die Hölle ein. Und wer will das schon?' Das war sicher etwas launig gemeint. Aber wenn es passt, passt es. Wenn es nicht passt, gibt es immer Alternativen. Wenn Sebastian Lust hat, kann er zehn Jahre bleiben. Aber er muss die Form halten, wir müssen das Auto halten. Das Leben besteht ja nicht nur aus Kontinuität, es besteht ja auch aus Abwechslung, aus ein bisschen Herausforderung."

"Also wäre es für Sie auch gar nicht nötig, Sebastian mit einer Vertragsverlängerung über die jetzige Laufzeit hinaus an das Team zu binden?"

Mateschitz: "Eine Vertragsverlängerung kann durchaus sinnvoll sein, aber aus dem Grund, den er mir vor zwei Jahren gesagt hat: 'Können wir bitte einen längerfristigen Vertrag machen, damit ich endlich meine Ruhe habe?' Das sind seine Worte. Es klingt vielleicht komisch, wir haben viele langfristige Verträge und ich lasse die Leute trotzdem alle ziehen. Denn wenn sich jemand nicht wohlfühlt und nicht will, dann habe ich ja nichts von einem langfristigen Vertrag. Dann soll er doch gehen. Wie ich gesagt habe, es gibt ja auch Alternativen. Das Ganze ist für uns und für den Sebastian im Moment überhaupt kein Thema."

"Ist Sebastian Vettel der Mann, der in diesem Jahr zu schlagen ist?"

Mateschitz: "Ja, ohne Frage. Mark und er, und dann natürlich Hamilton, Alonso. Das wird es sein."

"Vettel ist darauf angesprochen worden, ob es für ihn ein Ziel ist, wie Michael Schumacher sieben WM-Titel zu holen. Er hat gesagt, er mache das Schritt für Schritt und es würde lange dauern, bis er das erreicht hätte. Trauen Sie ihm es zu, in solche Sphären aufzusteigen?"

Mateschitz: "Es wäre völlig falsch, sich solche Ziele zu setzen. Alles, was für uns und für ihn zählt, ist diese Saison. In der wollen wir möglichst viele Grand Prix gewinnen, so wie er auch. Länger disponiert man nicht. Ich kann jetzt nicht sagen, was ich in zehn Jahren will. Wenn es normal läuft, Sebastian motiviert bleibt, denn von seiner Begabung her hat er unbestritten das Potenzial, wenn er weiter die Freude am Fahren nicht verliert, dann glaube ich, dass er mehrmals Weltmeister werden kann. Ob das jetzt dreimal oder viermal ist, bevor es ihm zu blöd wird, ob das siebenmal ist oder achtmal, damit er den Rekord aufstellt, da sind wir wieder beim Wahrsager. Das ist Spekulation, und das sollte man nicht tun."

"Sie betreiben mit Red Bull den Sport ja nicht nur aus Spaß an der Freude. Es gibt ja auch wirtschaftliche Interessen. Kann man sagen, ob sich der WM-Titel in der Formel 1 auch schon für die Marke, den Konzern Red Bull in irgendeiner Art und Weise ausgezahlt hat?"

Mateschitz: "Man kann es nicht quantifizieren. Schauen Sie: Wenn man in der Formel 1 Doppel-Weltmeister wird, zahlt sich das immer aus. Aber das kann man nicht dahingehend interpretieren, dass man es quantifiziert. Wir können nicht sagen, dass wir zehn Prozent mehr Wachstum haben oder dass die zehn Prozent, die wir haben, deswegen kommen. Sie müssen sich überlegen, dass wir ein Marketingbudget von über einer Milliarde haben. Da ist die Formel 1 natürlich ein wesentlicher Faktor, aber wir haben 600 Athleten, wir haben X-Fighter, wir haben Crashed Ice, wir haben das Air Race. Jetzt auseinanderzudividieren, wer für was zu wieviel verantwortlich ist, das wäre falsch und das wäre auch nicht möglich, weil das Marketing-Mix in seiner Komplexität, in seiner Ganzheitlichkeit den Erfolg der Marke ausmacht und nicht nur ein einzelnes Mosaik daraus. Wobei sicherlich der Sebastian und die Formel 1 ein wesentlicher Faktor im Marketing-Mix sind."

"Sie sprachen bereits an, dass Sie verschiedene Sponsoring-Aktivitäten im Sport haben ..."

Mateschitz: "Wir sponsern nicht. Die meisten Dinge von uns sind erfunden. Schauen Sie: Ein Sponsor ist Marlboro bei Ferrari. Wir sponsern die Formel 1 nicht, wir sind die Formel 1. Ethihad oder Shell, Emirates oder bwin, wer auch immer, die sponsern Chelsea oder Arsenal oder was auch immer. Wir spielen Fußball, wir sind integriert, wir übernehmen die Verantwortung für die Niederlage genau so wie für den Sieg. Dieses klassische Sponsorship ist bei uns nicht existent. Das tun wir nicht. Wir tragen zu niemandem einen Koffer voll Geld und machen uns davon abhängig, ob er das für Nachtclubs ausgibt oder für die Performance. Wir sind nur in unseren Corporate Projects im Sport engagiert. Aus Passion heraus, als Teil unseres Markting-Mixes - und die Dualität aus beidem ist hervorragend. Denn wir machen Dinge, bei denen die Hälfte des Aufwands der Finanzminister mitbezahlt, weil es ein werblicher Aufwand ist, wenn wir die Bullen irgendwo draufmachen. Das sind sehr, sehr glückliche Umstände. Wir sind dankbar dafür, und so soll es bleiben."

"Kann man dennoch sagen, dass Sebastian Vettel und das Formel-1-Team im Moment die besten Bullen im Stall sind?"

Mateschitz: "Sie sind sicherlich die Bullen mit der höchsten medialen Präsenz, mit der höchsten globalen Präsenz. Aber das liegt an der Formel 1. Es wäre aber 600 oder 700 anderen Athleten gegenüber - von Robby Naish bis Lindsey Vonn - unfair, zu sagen, die sind besser als ihr. Sie haben eine andere Sportart gewählt, sind aber in ihrer Performance, in ihrer Persönlichkeit, in ihrem Risiko, in ihrer Anstrengung nicht deswegen schlechter, weil sie zum Beispiel nur über den Winter eine mediale Präsenz haben. Die Formel 1 gehört natürlich und ohne Frage zu unseren Highlights, aber das ist jetzt keine Wertung und vor allem keine Diskriminierung der anderen."

"Wenn Sie es sich aussuchen könnten von allen anderen Athleten oder sportlichen Aktivitäten - womit hätten Sie gerne als nächstes einen durchschlagenden Erfolg?"

Mateschitz: "Wir sind dabei, das Air Race auf neue Beine zu stellen. Da machen wir ein oder zwei Jahre Pause, weil wir von den Sicherheitsstandards, von der Technik, von der Organisation her etwas machen müssen. Das ist für mich im Moment die größte Herausforderung, an der wir noch arbeiten müssen."

"Und im Fußball?"

Mateschitz: "Fußball ist noch weniger kalkulierbar als die Formel 1. Es ist nicht so berechenbar wie mechanischer Grip oder Aerodynamik. Der Zufall oder auch andere Faktoren spielen eine größere Rolle. Fußball dauert auf jeden Fall sehr viel länger, wird aber nichtsdestotrotz irgendwann auch einmal gelungen sein. Aber man kann aus Österreich heraus nicht Champions League spielen. Dafür müssen wir uns eine der vier großen Ligen aussuchen, wo wir mit dem stärksten Team spielen. Und da macht es keinen Sinn, wenn wir einen großen, etablierten Klub übernehmen, denn dann spielt trotzdem noch Chelsea und nicht die Roten Bullen. Wir müssen authentisch sein, so wie in der Formel 1, so wie in anderen Sportarten. Und das geht nur, wenn wir von null anfangen. Das ist das Projekt in Leipzig, und in fünf, sechs Jahren werden wir in der ersten Liga spielen. Dann werden wir versuchen, uns vorne zu etablieren. Und irgendwann werden wir - auch durch unsere unglaublichen Bemühungen, mit vier, fünf Akademien den eigenen Nachwuchs an die Spitze zu führen - dann vorne mitspielen. Nur dauert das fünf bis acht Jahre. Das haben wir aber vorher gewusst, und das kann man auch nicht beschleunigen. Was wir sicher nie tun werden, ist, dass wir ein paar hundert Millionen oder wie viel auch immer nehmen, damit eine Legionärs- oder Söldnertruppe zusammensetzen und die dann spielen lassen. Das ist keine Kunst." (sid)