Yoshitomo Naras "Kid" (2008): ein niedlicher Frechdachs, dem der Heiligenschein trotzdem nicht abhanden kommt.

Foto: Galerie Meyer Kainer

Die Beispiele reichen von Bildern zu Zwecken der Eheanbahnung bis zu posthumen Erinnerungen an die Kleinen.

Krems - Sie stellen lebende Preziosen dar, gefasst von Spitzenbändern, Korsetts und Reifröcken, mit Seidenbrokat und Edelsteinen zum Glänzen gebracht. Nur die Kinderaugen leuchten nicht in den Porträts aristokratischer Sprösslinge, wie sie ab dem 16. Jahrhundert in Auftrag gegeben wurden. Diese Gemälde wurden nicht für liebende Eltern angefertigt, sie waren vielmehr Köder und sollten fürstliche Ehen stiften.

Der fünfjährige Prinz Friedrich von Baden-Durchlach blickt schüchtern von dem Bildnis, das ihn mit Spitzenkragen, Degen und Federhut inszeniert. Ein kleiner Tyrann? Keineswegs. Aber selbst Adelskindern wurde zu jener Zeit kein eigener Wille zugestanden. Das altdeutsche Gemälde hängt gewöhnlich auf Mallorca im Privatmuseum von Yannick und Ben Jakober; 35 Leihgaben daraus bilden nun den Grundstock der Schau Von Engeln und Bengeln.

Freilich zählen keine Velázquez-Infantinnen zur Sammlung: Interessant macht die Kollektion weniger die Qualität der Gemälde als die symptomatische Repräsentation der Kinder. Schon oft wurden die Altmeisterwerke international ausgestellt, erstmals treffen sie in der Kunsthalle Krems mit modernen Kinderbildnissen zusammen. "Wir wussten nicht, ob unsere Engel mit den Bengeln spielen würden", erklärt Ben Jakober und schmunzelt. Das Experiment sieht er als geglückt an.

Kein Wunder, hinterlassen seine fürstlichen Kindlein doch den stärksten Eindruck. Sie zanken nicht, sondern tanzen lieber Ringelreihen. Als Ouvertüre läuft Markus Schinwalds Video Children's Crusade, in dem der diesjährige Biennale-Venedig-Teilnehmer das Phänomen mittelalterlicher Kinderkreuzzüge aufgreift. Die wunderbaren Kinderchöre von Benjamin Britten, die diese Rattenfänger-Parabel unterlegen, begleiten die höfischen Porträts im verdunkelten ersten Saal. Von einem segnenden Prager Jesuskindlein wird dort zu Knirpsen übergeleitet, die unter Samtvorhängen Herrscherposen üben. In Vitrinen künden Mini-Ritterrüstungen von weiteren Hofpflichten. Inmitten von so viel Contenance zeigt einzig das Nesthäkchen in einem niederländischen Familienporträt Ungeduld und dreht sich zappelig zum Vater um.

Posen statt toben

Stundenlang musste Rebecca Watson Modell sitzen, damit Joshua Reynolds sie 1758 als kleine Lady verewigen konnte. Dabei befinden wir uns schon im Zeitalter Rousseaus, der spontanes Spiel - am besten in freier Natur - empfahl. Dem britischen Malertrend folgend bewegen sich die dargestellten Adelskinder nun freier, aber sie gleichen immer noch den angebundenen Vöglein, die sie wie Ballons festhalten. Die Schutzzauber durch Korallen und Hasenpfoten am Gürtel sind verschwunden, dennoch prägt die hohe Kindersterblichkeit weiterhin das Verhältnis zu den Nachkommen. Posthume Kinderporträts spiegeln die Rolle der Auftragskunst in der Trauerarbeit. Besonders berührt der schwache Fritz Amerling junior auf dem Krankenbett, den sein Vater kurz vor dem Tod selbst porträtiert hat.

Arbeiten der sozialkritischen Künstlerinnen Paula Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz dürfen im Kapitel "Kinderarmut" nicht fehlen. Die Kollwitz-Lithografie enttäuscht aber ebenso wie der Picasso-Druck seiner Tochter Paloma; da hätte eines der zahlreichen Gemälde Picassos hergehört.

Je moderner, desto mehr verliert die Schau an Stringenz. Wo heute von jedem Neugeborenen tausende Digishots existieren, schleppen nur mehr Neocons ihren Nachwuchs zum Maler. Die Künstler inszenieren derweil eigene Psychoschrammen. Etwa Martin Honerts Skulptur, die ihn als einsamen Jungen am Küchentisch zeigt. Unheimliche Kinder, dieses Steckenpferd der Popkultur, tauchen in Ursula Hübners Collagen auf oder in Simon Huberts Mädchenskulptur, die an das Horrorgirl im Film The Ring mahnt.

Und die Bengel? Das Thema Sexualität wurde vorsorglich ausgespart. Auch der rauchende Bub im Video Maria Marshalls hat nicht inhaliert. Bleibt nur Yoshitomo Naras Frechdachs, dessen Niedlichkeit aktuelle Kindheitsprobleme kurz vergessen lässt. (Nicole Scheyerer, DER STANDARD - Printausgabe, 8. März 2011)