Durch die Festnahme des bosnisch-herzegowinischen Ex-Generals Jovan Divjak am Donnerstag Abend in Wien ist Österreich wieder in den Mittelpunkt der Balkan-Politik gerückt. Diese Festnahme aufgrund eines Interpol-Haftbefehls aus Belgrad schlägt in der Region hohe Wellen - Am Samstag forderten tausende Bürger auf den Straßen von Sarajevo die Freilassung Divjaks, gestern haben rund 1.000 Bosnier in Wien protestiert, eine weitere Protestkundgebung der Gesellschaft für bedrohte Völker ist heute Abend vor dem Außenministerium in Wien geplant.

General Jovan Divjak war alles andere als nur ein ranghoher Offizier - darin liegt die Tatsache, warum seine Festnahme auf heftige Empörung stößt. Seit dem Anfang des Bosnien-Krieges genießt der gebürtige Belgrader bei den meisten Bosniern den Ruf einer hoch moralischen Person, ja fast einen Volkshelden. Als Serbe, der sich am Ausbruch des Krieges der bosnisch-herzegowinischen Armee anschloss und maßgeblich für die Verteidigung Sarajevos verantwortlich war, verkörperte Divjak stets eine Hoffnung für alle bosnisch-herzegowinischen Patrioten, dass ein friedliches Zusammenleben aller drei Völker trotz der Gräueltaten des Krieges möglich war.

Häufig stellten ihm ausländische Journalisten die Frage, warum er in der mehrheitlich aus Bosniaken zusammengesetzten bosnischen Armee blieb: „Weil es meine Aufgabe war, mit meinen Mitbürgern zu bleiben und die Schwächeren zu schützen. Ich wollte nur ein Mensch sein", lautete immer die Antwort des Generals, der bis heute Verfechter eines multiethnischen Bosnien blieb. Seine Prinzipien kosteten ihn schließlich die Position in seiner Armee selbst - über seine Pensionierung erfuhr er im Radio. Dass er stets auf der Seite der Menschlichkeit stand, zeugen auch seine Taten nach dem Krieg: Divjak gründete die Stiftung "Bildung baut Bosnien-Herzegowina" und vergab dadurch fast 30.000 Stipendien an Kinder, die Kriegsopfer waren. Das Haager Kriegsverbrechertribunal ist schon seit 2003 im Klaren: Es gibt keine belastenden Beweise gegen General Jovan Divjak im Zusammenhang mit dem Tod einiger Soldaten der aus Sarajevo abziehenden jugoslawischen Armee (der Fall der „Dobrovoljačka-Straße"), war die Antwort aus Den Haag auf die Anfrage der bosnisch-herzegowinischen Justizbehörden. Es ist vielmehr ihm zu verdanken, dass dieser Abzug aus der bosnischen Hauptstadt im Mai 1992 ohne größere Opferzahlen vollzogen wurde.

Letztes Jahr wurde der bosnische Ex-Vizepräsident Ejup Ganić aufgrund des gleichen Haftbefehls aus Belgrad in London verhaftet, später aber freigelassen, mit der Erklärung, es handle sich um einen „politisch motivierten Haftbefehl" aus Serbien. Nun bleibt die Frage: Warum beharrt die serbische Justiz auf dieser Anklage? Die Politik aus Belgrad versucht nämlich seit den letzten Balkan-Kriegen ihre eigene Rolle am Kriegsgeschehen in Bosnien-Herzegowina zu relativieren und das Prinzip zu postulieren, nach dem alle Kriegsparteien die gleiche Schuld am Kriegsgeschehen tragen. Die Tatsachen sprechen aber eine andere Sprache: Alleine in Sarajevo, das dreieinhalb Jahre lang von den serbischen Truppen belagert und beschossen wurde, sind laut offiziellen Angaben rund 11.000 Menschen aus allen Volksgruppen getötet worden, davon rund 1.500 Kinder.

Die offiziellen Opferzahlen des Bosnien-Kriegs sind ebenfalls ernüchternd: Die meisten Kriegsopfer haben die Bosniaken zu beklagen: 66 Prozent aller Opfer entfallen auf diese Volksgruppe. Von der Zahl aller im Krieg getöteten Zivilisten entfallen mehr als 83 Prozent auf Bosniaken, rund 10 Prozent auf Serben und 5,5 Prozent auf Kroaten. Gleichzeitig ist Belgrad nicht im Stande, fast 16 Jahre nach dem Völkermord in Srebrenica den flüchtigen General Ratko Mladić ans Haager Tribunal auszuliefern. Mit einer solchen Politik trägt Serbien - das mittlerweile gerne von sich behauptet, eine Leaderrolle am Balkan spielen zu wollen - zu keiner Stabilisierung in der Region bei. Nun ist wieder die Regierung Boris Tadić zum Handeln gefordert. Denn ohne ein konstruktives Serbien, das sich seiner Verantwortung in den letzten Balkan-Kriegen in vollem Maße bewusst ist, ist eine dauerhafte Versöhnung am Balkan in Frage gestellt. (Nedad Memić, 7.2.2011)