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Gegner des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi bei der Beerdigung eines Kameraden, der in Brega getötet wurde. Die Rebellen kämpfen um jede Stadt des Landes.

Foto: EPA/TIAGO PETINGA

Der junge Mann mit der Sonnenbrille und dem schwarz-weiß karierten Tuch um den Kopf fährt sich ruckartig mit den Fingern über die Kehle. "Gaddafi dead" sagt er dazu. Ein anderer, der sich auf der Ladefläche des Lieferwagens an die Rohre des Fliegerabwehrgeschützes lehnt, skandiert "Gaddafi, Gaddafi" und zeigt den ausgestreckten Daumen - ehe er zu lachen beginnt. "We kill Gaddafi", sagt er dann.

Eine Szene an der Hauptstraße zwischen Brega und dem ungefähr 120 Kilometer entfernten Ras Lanuf, wenige Stunden nachdem die Aufständischen den dortigen Ölhafen eingenommen haben. Überraschenderweise trifft man an diesem Vormittag erst hier auf Kämpfer und Waffen, die zur Front gebracht werden. Auf dem rund 300 Kilometer langen Teilstück zwischen Bengasi und der ehemaligen Frontstadt Brega waren dagegen keine Anzeichen von Truppentransporten zu sehen.

Rechts und links der Straße erstreckt sich die ockerfarbene und braune Sand- und Geröllwüste. Kamelherden weiden neben der Straße und rupfen an den vereinzelt stehenden niedrigen Büschen. Zwei- oder dreimal passiert man Hirten, die ihre Schafe und Ziegen vor sich hertreiben.

Diese Umstände machen es verständlich, warum die wenigen dichteren Ansiedlungen strategisch so wichtig sind. Brega etwa, das Ende vergangener Woche von den Revolutionären erobert worden ist. Von einer Stadt zu sprechen ist hier wahrlich übertrieben - Straßendorf trifft es eher. Mehrere Dutzend Rebellen sind hier stationiert, stehen mit ihren Sturmgewehren an den Checkpoints oder sitzen bei ihren Flak-Geschützen. Die Kämpfe seien bei Ras Lanuf, erfährt man.

Auf der Fahrt dorthin sieht man Spuren des Vormarsches. Ein ausgebrannter Bus am linken Straßenrand, zwei verkohlte Pickup-Trucks am rechten. Wind kommt auf, es bildet sich eine Sandwand, in der man kaum 50 Meter weit sieht. Da der Sand auch auf dem Boden herumwirbelt, fällt es stellenweise schwer, den genauen Verlauf der Straße zu erkennen.

Vermummt sitzen die großteils mit einer bunten Kleidermischung ausgestatteten Bewaffneten auf ihren Ladeflächen. Manche haben Hosen oder Oberteile in Tarnfarben an, manche Barette auf dem Kopf, andere sind völlig in Zivil gekleidet. Gemein ist ihnen, dass sie die Hand zum Victory-Zeichen erheben und lachen, sobald sie erkennen, dass sie von einem Ausländer überholt werden.

Kurz vor Ras Lanuf sieht man rechts die umkämpften Öltanks der Raffinerie. Am Ortseingang stehen dreißig, vierzig, Rebellen und warten, wie es weitergeht - ob die Regierungstruppen einen Gegenangriff starten oder ob weiter vormarschiert wird. Auf dem Boden liegen Patronenhülsen und noch scharfe Munition verstreut.

Menschenleere Ölstadt

Die Stadt wirkt fast unwirklich. Breite Straßen, begrenzt von Hecken - moderne Häuser, die noch keine Zeichen von Abnutzung zeigen. Eine Ölstadt, die an diesem Tag aber fast menschenleer scheint. Vereinzelt hört man noch Gewehrfeuer, nach Freudenschüssen hört es sich nicht an.

Sechs Ambulanzwagen sind vor dem braunen Gebäude mit dem roten Halbmond über der Tür geparkt. Im Spital ist es ruhig, Doktor Ayub, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, hat Zeit für ein Gespräch (Interview unten).

Vier Armee-Soldaten hat er in der Nacht behandelt, drei hatten Verbrennungen, einer Kopfverletzungen von einem Autounfall. "Wir hatten auch einen Zehnjährigen mit einem Kopfschuss. Ein sehr ernster Fall, er wurde in ein anderes Krankenhaus gebracht."

Der 44-Jährige illustriert, wie schwierig es ist, genaue Opferzahlen herauszufinden. "Wir bekamen eine Meldung über 20 Tote. Doch als die Wagen dort ankamen, war niemand mehr zu sehen. Vielleicht hat die Armee sie abtransportiert." Im Spital mangelt es an Krankenschwestern und Chirurgen. Die Medikamente müssen rationiert werden, schließlich weiß Ayub nicht, ob der Bürgerkrieg in die Stadt zurückkommt.

Im zweiten Spital der Stadt ist es noch ruhiger. Am Empfang sitzt Fathalla Bell Hassan und sieht fern. "Wir hatten drei Patienten in der Nacht, aber nichts Ernstes." Er sei froh, dass die Stadt im Besitz der Aufständischen ist. "Aber jetzt müssen wir nach Tripolis." (Michael Möseneder aus Ras Lanuf, STANDARD-Printausgabe, 07.03.2011)