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Ankunft vor Gericht: Der Aufdecker-Journalist Nedim Sener (Mitte) winkt in Istanbul Anhängern zu. Sener schrieb viel über die Machenschaften von Ergenekon. Jetzt soll er selbst Mitglied des Geheimbunds sein.

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Dieses Mal waren sie es nicht. "Die Verhaftungen sind nicht auf unsere Anweisungen hin geschehen", verteidigte sich der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan vergangene Woche, nur Stunden nach der Festnahme von zehn Journalisten wegen ihrer angeblichen Mitgliedschaft im nationalistischen Geheimbund Ergenekon. Die Staatsanwaltschaft habe frei gehandelt, sagte Erdogan. "Es ist mein Wunsch, dass dieses Verfahren umgehend zum Abschluss gebracht wird", ließ er gleichwohl die Justiz wissen.

Jahrelang waren die immer weiter ausgreifenden Ermittlungen zu den Umsturzplänen des Geheimbunds nützlich für Erdogans regierende konservativ-muslimische AKP, um den Einfluss der Armee im türkischen Staat nach und nach zurückzudrängen. Jetzt scheint ein Wendepunkt erreicht. Die Ermittlungen begännen selbstzerstörerisch zu werden, stellten verschiedene Kommentatoren am Wochenende fest.

Absurderweise sind unter den Journalisten, die am Samstag dem Richter vorgeführt wurden, zwei namhafte Autoren, die entscheidend zur Aufdeckung von Ergenekon beigetragen haben. Ahmet Sik unterrichtet Journalismus an der Bilgi-Universität in Istanbul und hatte zusammen mit Ertugrul Mavioglu, dem Nachrichtenchef der liberalen Tageszeitung Radikal, einen zweibändigen Reader zum Verständnis von Ergenekon veröffentlicht; Nedem Sener arbeitet für die regierungskritische Tageszeitung Milliyet und brachte kürzlich ein viel gelobtes investigatives Buch über die Ungereimtheiten bei den polizeilichen Ermittlungen im Fall des 2007 ermordeten türkisch-armenischen Verlegers Hrant Dink auf den Markt.

Auch Dinks Ermordung könnte Teil der Pläne gewesen sein, mit denen nationalistische Kreise in Armee und Justiz möglicherweise Chaos im Land schaffen und dem Militär den Vorwand für einen neuerlichen Putsch liefern wollten. Schlüssige Beweise für die Existenz des Geheimbunds sind noch nicht erbracht worden. Nach vier Jahren Ermittlungen sind mittlerweile 318 Personen angeklagt und fast doppelt so viele in Haft - allein im Vormonat waren 162 Offiziere und Generäle festgenommen worden. Doch kein einziges Urteil ist gesprochen.

Absturz auf Platz 138

Die Festnahme der zehn Journalisten hat die Sorge über die Pressefreiheit im Land bestärkt. Im jährlichen Ranking von Reporter ohne Grenzen fiel die Türkei von einem schlechten 100. Platz 2006 auf Rang 138 von 178 Ländern 2010. 60 Journalisten sind derzeit in Gefängnissen in Haft, 2000 stehen in Gerichtsverfahren, gegen 4000 laufen Ermittlungen. Ein großer Teil sind Verleumdungsklagen, die auch Premier Erdogan konsequent anstrengt. (Markus Bernath aus Istanbul, STANDARD-Printausgabe, 07.03.2011)