Raben sind Spezialisten im Auffinden von Futterverstecken.

Foto: Christian Schloegl
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Eine Neukaledonische Krähe sitzt in einem Baum und bricht einen Zweig ab. Aus diesem Zweig fertigt sie ein Werkzeug, mit dem sie eine Insektenlarve aus einem morschen Baumstamm heraus stochert. Raben fertigen keine Werkzeuge an, aber verbergen sich gerne in Bäumen, um ihre Artgenossen beim Verstecken von Futter zu beobachten und um ihnen danach diese Verstecke zu plündern. Im Gegenzug versuchen die anderen Raben ihre Mitstreiter auszutricksen und hereinzulegen, um ihre Verstecke zu schützen. Graupapageien hingegen stellen weder Werkzeuge her noch verstecken sie Futter. Sie können jedoch menschliche Worte und sogar unsere Sprache erlernen. Dies kann soweit gehen, dass sie Fragen beantworten und Futterwünsche äußern können. Am eindrucksvollsten demonstrierte dies Alex, der berühmte Graupapagei von Irene Pepperberg.

Vor nicht allzu langer Zeit galten Vögel als "Spatzenhirne" ohne die mentalen Fähigkeiten von Elefanten, Delphinen oder Menschenaffen. Diese Ansicht hat sich in den letzten zwanzig Jahren jedoch dramatisch geändert. Wir wissen nun, dass sich Intelligenz im Laufe der Evolution nicht nur einmal in unserer eigenen Abstammungsreihe entwickelt hat. Wie jedes andere Merkmal (wie beispielsweise Flügel oder Augen) entwickelt sich Intelligenz immer dann, wenn sie zum Überleben gebraucht wird, und Rabenvögel (Krähen, Raben und Häher) und Papageien sind inzwischen bekannt für ihre geistigen Fähigkeiten. Aber Intelligenz hat ihren Preis - ein großes Gehirn verbraucht viel Energie, und die meisten Arten kommen auch sehr gut ohne ein großes Gehirn zurecht. Deshalb interessiert sich die Wissenschaft sehr für die Frage, weshalb einige Tierarten, unter ihnen Rabenvögel, Papageien, Hundeartige (Hunde, Wölfe, Hyänen), Wale und Primaten eine höhere Intelligenzstufe erreicht haben.

Anscheinend erfordert ein sozial komplexer Lebensstil besondere Intelligenzleistungen, da man Freund von Feind unterscheiden und erkennen können muss, wann man wem vertrauen kann, etc. Aber auch die Art und Weise des Futtererwerbs spielt eine Rolle, vor allem wenn man Werkzeuge gebraucht oder sich Tausende von Versteckplätzen merken muss.

Wozu Tiere ihre Intelligenz brauchen ist aber nur eine Seite der Medaille. Ebenfalls wichtig, aber noch kaum untersucht, ist die Natur ihrer Intelligenz. Leonardo da Vinci gilt als eines der größten Genies der Menschheitsgeschichte und war bekannt als Maler, Bildhauer, Architekt und Erfinder. Albert Einstein hingegen war ein Physikgenie, aber bereits in Mathe unterdurchschnittlich begabt. Da Vinci besaß also eine "Universalintelligenz", wohingegen Einstein in einem begrenzten Feld herausragte.

Sind nun Schimpansen, Papageien, Rabenvögel und Wale tierische da Vincis oder Einsteins? Traditionell testete man jede Art in ihrem Spezialgebiet: bei Futterversteckern untersucht man beispielsweise, wie viele Verstecke sie sich merken können, und die Werkzeug gebrauchenden Arten testet man auf ihr physikalisches Verständnis, nicht jedoch anders herum. Infolge dessen wissen wir nicht, ob jede Art nur die spezifischen geistigen Fähigkeiten hat, die sie als Anpassung an ihren jeweiligen Lebensstil benötigt, oder ob sie eher eine "da Vinci"-mäßige Generalintelligenz besitzen.

Metaphorisch wird Intelligenz manchmal mit einer Werkzeugkiste verglichen und im Falle einer Generalintelligenz besäßen alle hochintelligenten Arten die gleichen Werkzeuge. Ist Intelligenz hingegen eine Anpassung an das artspezifische Leben, dann sollte jede Art unterschiedliche Werkzeuge besitzen. Beide Theorien haben ihre Befürworter, und um Licht in die Sache zu bringen, untersucht unsere Forschungsgruppe an der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau und den Departments für Verhaltensbiologie und Kognitive Biologie an der Universität Wien diese Frage an zwei Gruppen von Vögeln, die besonders für ihre Intelligenz bekannt sind: Rabenvögel und Papageien. Beide sind nur entfernt verwandt und haben unterschiedliche evolutionäre Vergangenheiten. Deshalb haben sie ihre geistigen Fähigkeiten auch unabhängig voneinander erworben, sei es als Werkzeuggebraucher, Futterverstecker oder Vokalakrobat.

In unseren Tests konfrontieren wir verschiedene Papageien und Rabenvögel mit einer Reihe von Standardtests. Beispielsweise ließen wir Raben und Keas, neuseeländische Papageien, verstecktes Futter suchen. Zuvor zeigten wir ihnen wo das Futter nicht sein kann, verrieten ihnen aber nicht, wo es ist. Raben, die Spezialisten im Auffinden von Futterverstecken, nutzten diese Information effektiver. Dies ist erst ein Anfang in unseren Bemühungen, die geistigen Fähigkeiten von Vögeln besser zu verstehen, jedoch deutet es bislang darauf hin, dass diese Vögel eher Einsteins als da Vincis sind. Endgültige Aussagen wären jedoch verfrüht - die Wissenschaft benötigte auch Jahrzehnte um zu erkennen, dass wir nicht die einzigen intelligenten Tiere sind. Die Zukunft wird zeigen, wie sehr wir uns unterscheiden oder ob wir nicht doch alle gleich sind. (Christian Schloegl, Konrad Lorenz Forschungsstelle, Grünau im Almtal, Department für Verhaltensbiologie und Department für Kognitionsbiologie, Universität Wien,  www.atomiumculture.eu)