Wellesley - Für eine unpubliziert gebliebene Studie infizierten US-amerikanische Wissenschafter in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts wissentlich gualtemaltekische Häftlinge und Soldaten mit Syphilis und Gonorrhoe. Die Skandal-Studie wurde durch Nachforschungen von Susan Reverby vom Wellesley College bekannt, nun hat Präsident Barack Obama, der sich vergangenen Herbst beim Volk von Guatemala für den Vorfall entschuldigt hatte, eine offizielle Untersuchung angeordnet.

Reverby hatte entdeckt, dass John Cutler, ein 2003 verstorbener Mitarbeiter des United States Public Health Service, zwischen 1946 und 1948 entsprechende Studien durchgeführt hatte. Er versuchte, die Ansteckung der Männer über den Kontakt mit bereits infizierten Prostituierten zu erreichen. Als sich aber nur wenige Männer auf diesem Weg ansteckten, versuchten Cutler und seine Mitarbeiter die Probanden mittels Impfungen in Harnröhre, durch Injektionen in die Haut oder den Kontakt der Vorhaut mit infektiösem Material zu infizieren. Rund 1.500 Menschen waren betroffen - keiner davon wurde über das Ziel der Studie informiert oder um sein Einverständnis gefragt.

Materialsichtung

Amy Gutmann, die Rektorin der University of Pennsylvania und Vorsitzende der Presidential Commission for the Study of Bioethical Issues, erklärte, dass dieses Verhalten entsetzlich falsch gewesen sei. Jetzt gehe es darum, die Fakten zu ermitteln und zu veröffentlichen. Valerie Bonham, Geschäftsführerin der Kommission, stellte bis zur Jahresmitte eine vollständige Überprüfung in Aussicht. Gemeinsam mit ihren zwölf Kollegen habe sie bereits die 477 Schachteln an Archivmaterial und Dokumenten durchgesehen.

Die Studie werde sich auf vier große Fragen konzentrieren: Was ist bei den Studien geschehen? Wie viel haben die amerikanische Regierung und die offiziellen Stellen gewusst und wie sehr haben sie aktive Unterstützung geleistet? Um welchen historischen Kontext handelt es sich konkret? Wie würden die Studien durch die ethischen Standards und Konventionen der damaligen Zeit beurteilt werden? Bonham betonte jedoch, dass ihre Untersuchung nicht nach einer Entschuldigung oder Rechtfertigung der Experimente suchen werde.

Untersuchung der gegenwärtigen Situation

Eine zweite Untersuchung steht laut dem Wissenschaftsmagazin "New Scientist" noch am Anfang: Hier geht es um zeitgenössische ethische Standards in der medizinischen Forschung. Gutmann wird dafür einer Gruppe von 14 hoch angesehenen Experten vorsitzen. Die meisten sind amerikanische Staatsbürger, stammen aber ursprünglich aus so verschiedenen Ländern wie Uganda, Indien, Brasilien, Ägypten, Argentinien, Guatemala, China und Russland. Diese Initiative komme, so Gutmann, zu einem entscheidenden Zeitpunkt, denn die Richtlinien zum Schutz der Teilnehmer an Studien hätten nicht mit den rasanten medizinischen Entwicklungen Schritt gehalten. (red)