Im Laufe der Jahre verlor dieser reitende Erzherzog nicht nur Köcher und Lanze, sondern auch seinen Platz in der Kunstkammer.

Foto: Im Kinsky

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Eine letzte historischen Aufnahme (1940er-Jahre) dokumentiert den ursprünglichen Standort der Reiterstatue in der Hofburg.

Foto: Bundesmobilienverwaltung/Archiv

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Der Stempel "Eigentum Schmiedl" blieb erhalten.

Foto: Bundesmobilienverwaltung/Archiv

Seit Anfang Juli 2010 lagert der Hauptdarsteller eines grotesken und in der Chronologie sehr komplexen Streitfalls in einem Depot bei Sotheby's in London. Am 8. Juli sollte die Caspar Gras zugeschriebene Reiterstatuette (17. Jh.) versteigert werden. Über die Niederlassung des Auktionshauses in Wien hatte Besitzerin Fryderyka Sandberg die Bronzefigur (Schätzwert 143.600 bis 179.500 Euro) auf eine vermeintlich lukrative Reise geschickt. Sechs Tage vor der Auktion intervenierte die österreichische Botschaft in London, die Eigentumsverhältnisse seien andere, das Objekt sei dem Kunsthistorischen Museum gestohlen worden, ein zugehöriges Verfahren (StGB § 164) liefe. Lot Nummer 48 wurde von der Auktion zurückgezogen und beschäftigt seither nicht nur Juristen.

"Zur Ausstattung verliehen ..."

Das tatsächliche Problem: Die Reiterstatue kursiert seit Jahren im Handel, dennoch blieb das KHM bis zum Sommer 2010 weitestgehend untätig. Vermutlich auch, weil man sich keine Blöße geben wollte. Wie Standard-Recherchen ergaben, hatte man das Fehlen des Kunstkammerobjekts jahrzehntelang gar nicht bemerkt.

1908 war es zu Ausstattungszwecken der Burghauptmannschaft überlassen worden, bei Revisionen in den Jahren 1932 und 1942 war es noch da. Auf einer im Archiv der Bundesmobilienverwaltung erhaltenen historischen Aufnahme vollführten Ross und Reiter auf einem Pietra-Dura-Schrank in der Wiener Hofburg noch eine Levade. Dann verliert sich die Spur. Bei der KHM-Generalinventur 1976 - Manfred Leithe-Jasper hatte soeben die Leitung der Kunstkammer übernommen - findet sich bei Inv.-Nr. 5995 keinerlei Vermerk.

Noch 1986 wähnte der damalige Direktor die dem manieristischen Bildhauer zugeschriebene Arbeit jedenfalls im Besitz des Museums. Davon zeugt ein in diesem Jahr publizierter Katalogtext, in dem die Serie der Reiterstatuen mit fünf Exemplaren beziffert wird. In einem 1996 publizierten Aufsatz vermerkte Leithe-Jasper bei Inv.-Nr. 5995 schon: "In den Wirren zu Ende des Zweiten Weltkrieges gestohlen (...) heute in einer Wiener Privatsammlung." Zwischen 1986 und 1996 scheint das Museum also den Verlust entdeckt zu haben. Das bestätigt auch Franz Pichorner, Stv. Generaldirektor des KHM. Vergangene Woche fand ein ausführliches Gespräch mit dem seit 2000 pensionierten Direktor der Kunstkammer statt. Warum es Leithe-Jasper verabsäumte, das zuständige Ministerium zu informieren, konnte nicht geklärt werden.

Nur so viel, dass sich Anfang der 90er-Jahre ein gewisser Peter Schmiedl bei ihm gemeldet hatte. Sein Vater habe die Statuette nach dem Zweiten Weltkrieg im Dorotheum erworben, und nun gedenke er sie dem KHM zu schenken. Warum Schmiedl die ehemalige Heimat der Statuette kannte und genau wusste, an wen er sich zu wenden hat? Das bleibt ungewiss. Nachfolgenden Besitzern, etwa den Sandbergs, soll die Inventarnummer auf dem Objekt eher rätselhaft geblieben sein. Jedenfalls zog Schmiedl das Angebot kurze Zeit später wieder zurück - aus Furcht vor Problemen mit dem Finanzamt, erinnert sich Manfred Leithe-Jasper. Die Theorie vom Verlust im Zuge der Kriegswirren war nicht von der Hand zu weisen.

Jahre später, im Herbst 1999, trifft in der Direktion ein Schreiben von Giese & Schweiger ein, bieten die Kunsthändler die Statuette im Auftrag eines Kunden dem KHM zum Kauf an. Leithe-Jasper antwortet sinngemäß, dass das Objekt als gestohlen bekannt und damit ohnedies unverkäuflich wäre. An mehr kann sich der Pensionist nicht erinnern.

Mehrere Vorbesitzer

Laut Giese & Schweiger habe man sie zusammen mit Gemälden bereits Anfang der 80er-Jahre von Schmiedl erworben, etwa um das Jahr 2000 verkaufte man die Statuette schließlich an Stephan Andreéwitch. Ebendort, bestätigt Fryderyka Sandberg dem Standard, habe ihr Mann diese Anfang 2003 erworben. Nein, Herbert sei kein Kunstsammler gewesen, das Objekt habe ihm nur gefallen und dessen Wertbeständigkeit überzeugt. Als ihr Mann im November 2003 verstarb, hinterließ er ihr aber einen Schuldenberg, weshalb sie sich zu einem Verkauf entschließen musste.

Von einer problematischen Provenienz hätten weder sie noch ihr Mann jemals etwas geahnt. Das stimmt nur bedingt, wie aktuelle Standard-Recherchen ergaben. Die dem KHM vorliegende Rechnung zu diesem Ankauf datiert mit 8. Jänner 2003, der Betrag von 31.000 Euro, so wurde handschriftlich vermerkt, war bar übergeben worden. Keine vier Wochen später wird über das Auktionshaus Christie's beim Bundesdenkmalamt (BDA) schon um eine Ausfuhr angesucht, der Antrag allerdings bereits am 24. März wieder zurückgezogen. Einerseits hatte das BDA zwischenzeitlich durchblicken lassen, dem Ansuchen nicht stattzugeben. Andererseits war auch das KHM aktiv geworden, forderte über den damaligen Rechtsvertreter von Andréewitch die Herausgabe des Kunstwerks, widrigenfalls es den Eigentumsanspruch gerichtlich geltend machen würde. Es blieb bei der Androhung.

Spätestens seit diesem Zeitpunkt wusste Familie Sandberg jedenfalls von der problematischen Vorgeschichte und ist die bislang von Fryderyka Sandberg vertretene Position des "gutgläubigen Erwerbs" über den Erbweg für Markus Fellner ebenso vom Tisch wie eine noch im Jänner 2010 in Erwägung gezogene Einigung.

Das ließ der von der Republik in der Causa aktuell beauftragte Rechtsanwalt Mitte dieser Woche Sandbergs Anwalt Wolfgang Seifert wissen. Derzeit wird für die Staatsanwaltschaft eine neue Sachverhaltsdarstellung vorbereitet.

Bei Dreharbeiten verschwunden?

Die Jahre 2004 und 2005 sind von Versuchen geprägt, endlich einen Käufer für das Objekt zu finden. Das ebenfalls kontaktierte Liechtenstein-Museum - dort ist Leithe-Jasper bis heute im Kunstbeirat aktiv - winkt ab, schließlich landet es beim Auktionshaus "im Kinsky". Dort bleibt die auf 150.000 bis 250.000 Euro taxierte Statue ebenfalls unverkauft. Das KHM unternahm - nichts. Schließlich beantragt Fryderyka Sandberg - laut ihrem Anwalt wollte sie endlich die vererbten Schulden begleichen - beim BDA die Wiederaufnahme des Verfahrens. Ende 2009 wird dem Ausfuhransuchen wegen "berücksichtigungswürdiger Gründe" stattgegeben.

Der Reiter reiste mitsamt der Ausfuhrbewilligung nach London. Im Juni 2010 erstattet Franz Pichorner schließlich Anzeige beim Bundesministerium. Das Verfahren (22. 6. 2010, StGB § 164, Hehlerei) gegen Stephan Andréewitch und unbekannt wird nach nur zehn Arbeitstagen (6. 7. 2010) eingestellt. Für den Strafbestand bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte und der Diebstahl im Jahr 1945 sei verjährt, so die Begründung der Staatsanwaltschaft.

Ein überaus schnelles Verfahren, bestätigt auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Und, die Einstellung basierte auf einer Stellungnahme des BDA. Ein interessanter Aspekt, als dieses ja nur die von einem Vorbesitzer kolportierte und allen anderen Akteuren überlieferte Version der Geschichte übernommen hatte. An deren Wahrheitsgehalt scheint es indessen Zweifel zu geben.

Im Dorotheum wurden mittlerweile die Kataloge bis weit in die 60er-Jahre hinein überprüft - ohne Ergebnis. Weder eine Reiterstatue noch ein Caspar Gras zugeordnetes Kunstkammerobjekt sei jemals im relevanten Zeitraum unter den Hammer gekommen.

Für Ilsebill Barta, wissenschaftliche Leiterin der Bundesmobilienverwaltung, ist zumindest ein Name in der Kette der Vorbesitzer ein geläufiger, konkret Schmiedl. Dahinter steht ein in vierter Generation geführtes Unternehmen, das sich seit 1919 auf die Innenausstattung für Film- und TV-Produktionen spezialisierte. Jahrzehntelang habe man an diese Firma immer wieder Objekte verliehen und auch ordnungsgemäß zurück erhalten. Inv.-Nr. KK 5995 sei nicht darunter gewesen. Und ja, in der Wiener Hofburg finden immer wieder Filmaufnahmen statt.

Die Schmiedl-Website listet zahlreiche Produktionen, für die man im Laufe der Jahre Requisiten bereitstellte. Darunter auch Die Deutschmeister (1955). Da gibt es jene legendäre Szene, in der Paul Hörbiger (Kaiser) Romy Schneider (Bäcker-Nichte) in der Salzstangerl-Affäre eine Audienz gewährt. Exakt diese Aufnahmen fanden in ebenjenem Raum des Zeremonialappartements statt, in dem die Reiterstatue zuletzt protokolliert worden war.

Womöglich wurde die Reiterstatue nach den Dreharbeiten zusammen mit anderen Requisiten (unabsichtlich) eingepackt? Das bleibt freilich nur eine Theorie. In der Realität wird der Firmenstempel "Eigentum Schmiedl" (am Sockelboden) das Objekt jedenfalls noch länger begleiten. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 5./6. März 2011)