Prisse d'Avennes "Arab Art". Engl./dt./frz. € 100,-/408 S., Taschen Verlag Köln 2010

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Aufgrund des aktuellen politischen und gesellschaftlichen Umbruchs in Ägypten sowie der damit einhergehenden Unruhen und Zerstörungen durch die revoltierende Bevölkerung und durch Plünderer, die das offensichtliche Machtvakuum, die zeitweilige Absenz der Exekutive ausgenutzt haben, haben auch historisch einmalige Kulturschätze in Kairo, in Alexandria sowie im Tal der Könige Schaden genommen. Wie Zahi Hawass, Minister für Altertümer, bekanntgab, wurde das Nationalmuseum in den ersten Tagen der Revolte von Dieben heimgesucht. Der Schatz des Tutanchamun wurde beschädigt, etliche Pretiosen entwendet. Die Ausmaße aller Verluste lassen sich nur partiell abschätzen. Anlass genug, sich mit dem Status quo der kulturhistorischen Bedeutung auseinanderzusetzen.

Eine der umfangreichsten, bis heute gültigen Dokumentationen ägyptischer Kunstschätze stammt aus dem 19. Jahrhundert. Der französische Ägyptologe Emile Prisse d'Avennes (1807-1879) brach mit 19 Jahren zu einer Reise in den Orient auf. Während der folgenden 40 Jahre erforschte er Syrien, Arabien, Palästina und Persien, lebte in Ägypten und Algerien. Zum Islam übergetreten, reiste er als Araber verkleidet unter dem Namen Edris Effendi durch Ägypten. Die altägyptische und islamische Kultur erforschend, schrieb er: "Wir werden sämtliche Künste diskutieren, all jene Gewerbe, wie sie von den Orientalen mit so viel Geschmack, Brillanz und Fantasie kultiviert wurden. Wir werden prachtvolle Reproduktionen der Monumente und Objekte von Kunst und Luxus präsentieren, die von einer fortschrittlichen Kultur zeugen." Prisse fertigte hunderte Zeichnungen, Fotografien, Skizzen von Grundrissen und 400 Meter Basreliefs an. Fasziniert von Symmetrie, Komplexität und Fülle arabischer Kunst und Architektur, schuf er Kompilationen, in denen der historische, soziale und religiöse Kontext berücksichtigt wurde. 1877 publizierte er seine herausragende Bestandsaufnahme ägyptischer und islamischer Kunst und Architektur: L'Art Arabe.

Die von Prisse d'Avennes dokumentierten Kunstschätze und Originalschauplätze, soweit überhaupt noch vorhanden, werden voraussichtlich, trotz partieller Aufhebung der offiziellen Reisewarnung, noch länger nicht, zumindest nicht unter sicheren Umständen, zu besichtigen sein. Einstweilen empfiehlt sich die Lektüre dieses Kompendiums arabischer Kunst in all ihrer Pracht und Vielfalt. Das sorgsam edierte Faksimile ist zugleich auch Zeugnis höchster Zeichenkunst. (Gregor Auenhammer/ DER STANDARD, Printausgabe, 4.3.2011)