Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel konnte sich ein Nachtreten zum Fall Guttenberg nicht verkneifen: Guttenberg habe schwere Fehler gemacht, aber sie müsse auch sagen: "So viel Scheinheiligkeit und Verlogenheit wie jetzt in der Debatte um Guttenberg war selten".

Scheinheiligkeit? Verlogenheit? Von wem? Vielleicht von ein paar politischen Gegnern, aber sonst doch wohl eher von Guttenbergs Verteidigern, die einen glatten, vorsätzlichen Betrug bagatellisieren wollten.

Was heißt hier "Fehler" ? Eine Dissertation zu mindestens 50 Prozent ohne Zitierung abschreiben ist kein "Fehler", sondern eine bewusste Handlung. Guttenberg (oder sein Ghostwriter) werden ja wohl nicht in Trance all die Textstellen kopiert haben. Guttenberg hat sich letztlich zum Rücktritt entschlossen, weil er im Fernse-hen eine Schlüsselszene sah: Waschkorbweise wurden mehr als 20.000 Unterschriften von empörten Wissenschaftern im Kanzleramt abgegeben. Die deutsche wissenschaftliche Community ließ sich die Verhöhnung nicht gefallen. Das deutsche Bildungsbürgertum meldete sich aus seinen Rückzugsräumen.

Die Affäre "traf den Kern bürgerlichen Selbstverständnisses" schreibt die konservative FAZ. "Es ging um Aufrichtigkeit, Glaubwürdigkeit, Vorbilder, Stolz auf die eigene Leistung, Respekt vor der geistigen Leistung anderer". Das will eine konservative Kanzlerin anscheinend nicht begreifen. (rau/DER STANDARD, Printausgabe, 3.3.2011)