"Wir haben monatelang darüber diskutiert, ob es unverschämt ist, ein eigenes Büro zu beanspruchen" - Andrea Brem und Hermine Sieder über die Anfänge des ersten Wiener Frauenhauses.

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Wien - Am Anfang stand die Selbsterfahrungsgruppe. "Sind wir alle von männlicher Gewalt betroffen?", fragten sich bang einige Studentinnen der Sozialakademie im Wien der 70er-Jahre. Die Antwort lautete schlicht "ja" - und die Konsequenz war, unter anderem, die Errichtung des ersten Frauenhauses im November 1978.

"Der schwesterliche Ansatz war uns damals ganz wichtig", erzählt Hermine Sieder. Sie war von der ersten Stunde an dabei, arbeitete als junge Psychologiestudentin im ersten Frauenhaus in der Liechtensteinstraße - das eigentlich eine große WG war. Sieder: "Das war eine große Bürgerwohnung mit hohen Räumen. Wir haben überall Zwischendecken eingezogen, damit wir auch noch in der letzten Ecke ein Matratzenlager unterbringen." Von Beginn an war Wiens erstes Frauenhaus überfüllt: "Wir mussten keine Werbung machen, die Frauen kamen aus ganz Österreich zu uns, da waren wir noch nicht einmal fertig eingerichtet."

In einigen anderen europäischen Ländern gab es damals bereits Frauenhäuser. "Bei uns hat das halt ein bisschen gedauert", lächelt Veteranin Sieder. Unter Bruno Kreiskys Regierungszeit gewann die autonome Frauenbewegung deutlich an Dynamik. Nächtelang wurde diskutiert. Und am Ende stand die Erkenntnis: "Wir machen das, aber niemand darf uns dreinreden." Kreiskys Frauenstaatssekretärin Johanna Dohnal akzeptierte - und nicht nur das. Dohnal und die SPÖ-Politikerin und Psychologin Irmtraut Karlsson unterstützten die Frauenhausbewegung auch finanziell. Sieder erinnert sich: "Wir brauchten das Geld zwar dringend, aber wir stritten darüber, ob wir es annehmen sollen." Sie nahmen an - und das erste Frauenhaus war auf Anhieb ein sozialpolitischer Erfolg, schon 1980 wurde das zweite in Wien-Hietzing eröffnet.

Anfangschaos

Die Anfänge waren teils chaotisch, teils dilettantisch - und voller Engagement und Idealismus. "Es gab keine Arbeitszeitaufzeichnungen, keine Jobbeschreibungen, jeder hat alles gemacht." Die Mitarbeiterinnen schleppten die Möbel ihrer Schutzbefohlenen, einmal erlitten drei Helferinnen gleichzeitig einen Bandscheibenvorfall. Die Frauen halfen beim Wäschewaschen zusammen, man kochte und putzte gemeinsam. Die heutige Leiterin des Vereins Wiener Frauenhäuser, Andrea Brem, erzählt: "Es galt als unanständig, eine Putzfrau zu engagieren, die Mitarbeiterinnen putzten ihr Büro natürlich selbst." Überhaupt das Büro: "Wir haben monatelang darüber diskutiert, ob es unverschämt ist, ein eigenes Büro zu beanspruchen", schmunzelt Sieder.

Es gab aber nicht nur amüsante, sondern auch ganz andere, handfeste Anfangsschwierigkeiten. So dachten sich die Frauenhausbetreiberinnen anfangs nicht viel dabei, dass die erste WG im Parterre lag. Sieder: "Es dauerte nicht lange, bis ein verlassener Ehemann eine Leiter anlehnte, und plötzlich stand er mitten in der Wohnung." Sie berichtet von teils massiven Bedrohungen, von Männern, welche die Tür eintraten, wüst herumschrien, Dinge kaputtschlugen und auf die Frauen losgingen. Und sie erinnert sich an eine Besprechung in der Polizeidirektion Wien, wo sie und eine Kollegin um Schutz durch die Exekutive baten. Ein Polizist habe sie angeschrien: "Wir sind hier nicht im Wilden Westen!" Man war im Wilden Osten, ein Mann drang einmal gewaltsam ins Frauenhaus ein und verletzte seine Ehefrau mit einem Messer so schwer, dass sie beinahe starb. Danach begann die Polizei umzudenken.

Zögerliche Polizei

Von Beginn an habe man auf Schulungen der Exekutive gedrängt, sagt Brem: "Die waren anfangs der Meinung, private Konflikte sollten auch privat bleiben." Heute gibt es allein in Wien pro Jahr 4000 Wegweisungen gewalttätiger Männer.

Auch die Frauenhäuser selbst (vier gibt es in Wien) haben sich verändert: Die Gebäude sind größer, die Frauen bewohnen mit ihren Kindern eigene Zimmer, die Schwesterlichkeit von damals ist zu professioneller Sozialarbeit geworden. In den 70er-Jahren habe man das Wort "Gewalttrauma" gar nicht gekannt, sagt Sieder. Dass Frauen und Kinder, die Gewalt erleben, psychologische Betreuung brauchen, "war uns damals nicht bewusst". Heute gibt es, nach der Akutphase, eine Nachbetreuung für Frauen und Kinder, ambulante Beratungsteams sind selbstverständlich. Gesellschaftlich habe sich einiges getan, sagt Andrea Brem, allerdings: "Strafprozesse gegen Gewalttäter sind nach wie vor mühsam." (Petra Stuiber/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.3.2011)