Nicht als Doktor, nicht als Minister und auch nicht als Freiherr, wohl aber als Dichter und einen Sekretär des Weltgeistes: Erinnerung an eine plagiatorische Episode der Austro-Kulturgeschichte, lange vor Googles Geburt. 

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Die NZZ am Sonntag freut's: Seit bekannt ist, dass sich der mittlerweile ehemalige deutsche Verteidigungsminister für die nach bisherigem Stand 21,5 Prozent an Abgeschriebenem in seiner Doktorarbeit auch bei der Schweizer Qualitätszeitung bedient hat, wirbt diese mit "summa cum laude" - der Bestnote, die Karl-Theodor zu Guttenberg für seine Dissertation von der Universität Bayreuth bekommen hat. Ganz nach dem Motto: "Wenn ein großer Künstler oder Denker sich nicht durchsetzen kann, so liegt das immer daran, dass er zu wenig Diebe findet." Das Zitat stammt von Egon Friedell - nur, um von Anfang an nicht zu Guttenbergs "gravierende handwerkliche Fehler" einreißen zu lassen, aber zu Friedell ein wenig später.

Zuerst sei in der Plagiats-Frage an Helmut Qualtinger erinnert. In "Gewaltingers" Zitatenschatz findet sich natürlich Passendes für Freund und Feind im "Minister Googleberg"-Streit: "Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen", passte für die Zu-Guttenberg-Schutzfront von Kanzlerin Angela Merkel abwärts. "Wenn ein Kopf besonders hoch getragen wird, ist er wahrscheinlich hohl", wussten die zu Guttenberg'schen Skeptiker dafür schon immer.

Zu Weihnachten 1946 hat Helmut Qualtinger jedoch seinem Freund Michael Kehlmann das Buch von André Maurois "Das Schweigen des Obersten Bramble" geschenkt - mit einer langen Widmung darin, die weder Wissenschafter noch Minister exkulpiert, Genies und Dichter aber als Plagiatoren inthronisiert.

In "seiner damals noch durchaus kindlichen Schrift" (Kehlmann) schreibt Qualtinger: "Bekanntlich hat Shakespeare für 'Julius Cäsar' den Plutarch wörtlich abgeschrieben. Manche bedauern, dass dadurch ein hässlicher Fleck auf den großen Dichter fällt. Andere sind toleranter und sagen: Ein Shakespeare durfte sich dies erlauben! Beiden ist jedoch zu erwidern: Wenn man von Shakespeare nichts anderes wüsste als dies, so würde das allein ihn schon als echten Dichter kennzeichnen. Es ist wahr: Große Dichter sind oft originell, aber immer nur, wenn sie müssen. Sie haben nie den Willen zur Originalität: den haben nur die Literaten! Ein Dichter ist ein Mensch, der sieht und sehen kann, weiter nichts. Und er freut sich, wenn er einmal ganz ohne Einschränkung seinem eigentlichen Beruf obliegen kann: dem des Abschreibens! Wenn Shakespeare den Plutarch abschrieb, so tat er es nicht, obgleich er ein Dichter war, sondern weil er ein Dichter war. Die Halbgenies, die Talente, die Spezialisten suchen sich und überall nur sich. Sie erblicken in allem, in Gott, Natur, Menschen, Ereignissen, Büchern, nur eine Gelegenheit, sich in Szene zu setzen. Das Genie aber hat eine leidenschaftliche Liebe zum Guten, Wertvollen; es sucht nichts weiter als dieses. Hat schon ein anderer die Wahrheit, zum Beispiel Plutarch, wozu sich auch nur um einen Schritt von ihm entfernen? Was könnte dabei herauskommen? Es bestünde die Gefahr, eine Wahrheit, die minder groß und wahr wäre, an die Stelle der alten zu setzen, und diese Gefahr fürchtet das Genie mehr als den Verlust seiner 'Originalität'. Lieber schreibt er ab. Lieber ist er ein Plagiator."

Seine Widmung im Buchgeschenk beschließt Qualtinger: "Von einem Plagiator, Michael Kehlmann in herzlicher Freundschaft gewidmet H. QU."

Der Beschenkte vermutet in seinem Beitrag "Mein Freund, der Quasi" im Porträtbuch "Der Qualtinger" (Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1987), dass der Text eigentlich von Egon Friedell stammt, "von Helmut war er sicher nicht. Nicht bloß, weil er sich selbst als Plagiator bezeichnet, sondern weil - wie zitiert - es gar nicht nötig ist, aus den ebenfalls zitierten Gründen."

Trost von Friedell

Heute, auf den Googleberg'schen Höhen der Zeit, ist das schnell nachgeprüft: "Egon Friedell und Plagiator" in die Suchmaschine eingegeben und nach 0,13 Sekunden muss man nur in den ersten paar Treffern von "ungefähr 1.620 Ergebnissen" ein wenig nachlesen - und Qualtinger ist als Abschreiber aus Friedells "Kulturgeschichte der Neuzeit" überführt. Das dreibändige Werk heißt im Untertitel übrigens "Die Krisis der europäischen Seele von der schwarzen Pest bis zum Weltkrieg." Der Titel von Karl-Theodor zu Guttenbergs Dissertation "Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU" lässt sich in dem Kontext nachgerade als Fortsetzung lesen.

Tröstlich in jedem Fall für den Minister ohne Amt und ohne Titel sind Friedells das Thema abschließende Worte, die Quasi seinem Freund in der Widmung vorenthalten hat: "Wir sind schließlich alle nur Plagiatoren des Weltgeistes, Sekretäre, die sein Diktat niederschreiben; die einen passen besser auf, die anderen schlechter - das ist der ganze Unterschied."

Damit ist der Bogen vom deutschen zu österreichischen Plagiatoren aller Art und allerorts gespannt - und da wie dort wie überall gilt natürlich die Unschuldsvermutung und Der Qualtinger: "Vieles wird zusehends schlechter, anderes wegsehends nicht besser." (DER STANDARD, Printausgabe, 2.3.2011)