Matthias Unterrieder, Rechtsanwalt und Partner bei Wolf Theiss.

Foto: Wolf Theiss

In Stellenausschreibungen muss seit heuer das kollektiv-vertragliche Mindestentgelt angegeben werden, wenn Betriebe mehr als 1.000 Mitarbeiter haben. Strafen gibt es allerdings erst mit 1. Jänner 2012. Ab 2012 gilt diese Regelung auch für Betriebe mit 500 Mitarbeitern. Welchen (Un)Sinn die Regelung hat, erläutert Matthias Unterrieder, Anwalt bei Wolf Theiss, im Interview.

derStandard.at: Die neue Regelung für Stellenausschreibungen ist in Kraft. Um was geht es?

Unterrieder: In jeder Stellenausschreibung, zum Beispiel in Inseraten, muss das jeweilige kollektiv-vertragliche Mindestentgelt angegeben werden. In Österreich ist der weitaus größte Teil der Arbeitsplätze vom Kollektivvertrag erfasst. Weiters muss auch auf die Bereitschaft zur Überzahlung hingewiesen werden.

derStandard.at: Das heißt, es muss eine Zahl dort stehen?

Unterrieder: Genau. Und das eigentliche Problem ist die Frage, um welche Zahl es sich handelt. Es ist deswegen nicht so einfach, weil sich ein kollektiv-vertragliches Entgelt neben der Jobhierarchie auch nach persönlichen Faktoren richtet, vor allem nach den Vordienstzeiten des Arbeitnehmers in einer bestimmten Verwendungsgruppe. Das eigentliche Mindestentgelt, das ich dem Arbeitnehmer zahlen muss, weiß ich erst, wenn klar ist, welche Vordienstzeiten dieser schon hat, also wenn ich den konkreten Arbeitnehmer schon kenne. Somit stellt sich die Frage, was gebe ich hier eigentlich an?

derStandard.at: Es wird in die Richtung gehen, dass das Mindestentgelt, das in den Inseraten angeführt werden muss, ganz unten angesiedelt ist?

Unterrieder: Meiner Meinung nach wird es ausreichen, dass man das niedrigste Entgelt für diese Art der Tätigkeit angibt und dass man die Vordienstzeiten nicht berücksichtigen muss, weil man das ja nicht kann. Es ist allerdings auch schon behauptet worden, dass das nur dann geht, wenn man gleichzeitig darauf hinweist, dass die Betriebszugehörigkeit und die Berufserfahrung nicht in die Berechnung eingeflossen sind. Das halte ich für falsch und würde Inserate natürlich noch länger und damit teurer machen.

derStandard.at: Im Gesetzestext ist das nicht explizit geregelt?

Unterrieder: Nein. Es kann nicht sein, dass man jemanden wegen eines sehr unklaren Gesetzestextes bestraft, nur weil individuelle Faktoren wie die Berufserfahrung nicht berücksichtigt werden.

derStandard.at: Wenn Arbeitgeber dezidiert ins Inserat schreiben, dass nur jemand für den Job infrage kommt, der eine langjährige Berufserfahrung in der Branche hat, dann muss sich das ja bei der Lohnhöhe in der Anzeige niederschlagen?

Unterrieder: Genau, theoretisch müsste das so sein. Wenn ich schreibe, ich will die und die Berufserfahrung, dann wird sich die Summe erhöhen müssen. Im umgekehrten Fall bin ich der Meinung, dass man in den Inseraten nicht angeben muss, dass bei der Summe die Berufserfahrung nicht berücksichtigt wurde. Ich kann sie ja gar nicht berücksichtigen, weil ich nicht weiß, wie viel Erfahrung der Bewerber hat.

derStandard.at: Wird die neue Regelung Ihrer Einschätzung nach etwas bringen, um Lohndumping zu unterbinden?

Unterrieder: Gegen Lohdumping wird es nicht viel bringen. In jenen Bereichen, wo Lohndumping passiert, läuft das meines Erachtens nicht über Stellenausschreibungen. Das betrifft eher Branchen, in denen andere Mechanismen im Spiel sind. Für diese wäre die Personalsuche über Stellenanzeigen viel zu teuer. Gerade die am schlechtesten bezahlten Stellen werden oft nicht ausgeschrieben, da geht sehr viel über Mundpropaganda. Herauszufinden, wie hoch das kollektivvertragliche Mindestentgelt ist, ist ja normalerweise nicht so schwierig.

derStandard.at: Werden Frauen in punkto adäquater Bezahlung für ihre Arbeit von der Regelung profitieren?

Unterrieder: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Arbeitgeber diskriminiert, indem er weniger bezahlt als er bezahlen muss. Die Diskriminierung spielt sich ja im Bereich der "freiwilligen" Bezahlung ab. Man muss in der Stellenanzeige ja nur angeben, was man zahlen muss und der bloße Satz „Es besteht eine Bereitschaft zur Überzahlung" sagt auch wenig aus. Da kann die Bandbreite zwischen fünf und 2000 Euro oder mehr liegen. Da dürfte der Effekt kein besonderer sein.

derStandard.at: Kein großer Wurf, um Diskriminierungen zu beseitigen?

Unterrieder: Ich habe die Befürchtung, dass sich die Wirkung des Gesetzes in bestimmten, formelhaften Redewendungen erschöpfen wird, die bei jeder Stellenausschreibung stehen werden. Wie ein Beipacktext. Mit der Zeit wird man dann sehen, welche Formulierungen ausreichend sind, um keine Strafe zu bekommen. Mit großen gesellschaftspolitischen Auswirkungen rechne ich nicht.

derStandard.at: Die Regelung ist in Kraft, gestraft wird erst ab dem 1. Jänner 2012. Warum?

Unterrieder: Fürs Erste soll nur eine Bewusstseinsbildung erfolgen. Die Strafdrohung beträgt dann ab 1.1.2012 360 Euro, wobei zunächst abgemahnt werden muss.

derStandard.at: In der Praxis würde das so ausschauen: Eine Firma schaltet ein Inserat ohne Angabe des Gehaltes, wird dafür abgemahnt, verzichtet beim nächsten Inserat wieder darauf und bekommt dann eine Strafe von 360 Euro aufgebrummt?

Unterrieder: Ja, allerdings sind die 360 Euro die Maximalstrafe. Beim ersten Verstoß wird wohl nicht der gesamte Rahmen ausgeschöpft werden. Die Strafe sollte dann eher im Bereich von 100 Euro liegen. Am Anfang ist damit zu rechen, dass nur diejenigen bestraft werden, die die Regelung komplett ignorieren. Welche Formulierungen unter welchen Umständen zulässig sind, wird sich erst im Lauf der Zeit herauskristallisieren, wenn es zu ersten Einsprüchen kommt.

derStandard.at: Wer verhängt die Strafe? Die Bezirksbehörden?

Unterrieder: Die Strafe wird von der Bezirkshauptmannschaft verhängt, in Wien ist das Magistrat zuständig. Angezeigt werden kann es natürlich wie immer von jedem, wobei im Gesetz ausdrückliche eine Antragsmöglichkeit für Bewerber oder der Anwältin für Gleichbehandlung steht.

derStandard.at: Werden dann Beamte Stellenausschreibungen unter die Lupe nehmen, um sich auf die Suche nach fehlenden Angaben zu machen?

Unterrieder: Ich kann mir eher nicht vorstellen, dass es die Behörden sehr aktiv betreiben werden. Im Wesentlichen wird es die Gleichbehandlungsanwaltschaft machen und wenn es in größerem Umfang von Unternehmen ignoriert wird, wird wohl ein Strafantrag gestellt werden.

Es geht ja auch um fehlende Ressourcen. Für die Bezirksverwaltungsbehörde ist es schwer herauszufinden, ob etwas korrekt ist oder nicht. Sie müssten ja überprüfen, was das Mindestentgelt des jeweiligen Kollektivvertrags ist und das mit der Lohnhöhe in den Inseraten vergleichen.

derStandard.at: Welche Jobs sind von der Regelung ausgenommen?

Unterrieder: Die ganze Regelung steht im Gleichbehandlungsgesetz. Von diesem ausdrücklich ausgenommen sind einerseits die land- und forstwirtschaftlichen Arbeiterinnen, weil das Landeskompetenz ist, und andererseits die Arbeitsverhältnisse zu Ländern, Gemeindeverbänden oder dem Bund. Sonst ist der Geltungsbereich sehr weit formuliert und betrifft Arbeitsverhältnisse aller Art.

derStandard.at: Das heißt, es betrifft theoretisch auch Chefpositionen?

Unterrieder: Es kommt darauf an. Bei Vorstandsmitgliedern wird es schon alleine deswegen wegfallen, weil es keine Mindestentgelte gibt. Bei Geschäftsführern muss man unterscheiden. Zum Beispiel erfasst der Handelskollektivvertrag auch die Geschäftsführung, die meisten anderen KVs nehmen Geschäftsführer jedoch aus. Aber gerade dort spielt das kollektivvertragliche Mindestentgelt in der Praxis keine Rolle.

derStandard.at: Stelleninserate, wo freie Dienstnehmer gesucht werden, sind von der neuen Regelung nicht betroffen?

Unterrieder: In der Regel gibt es ja für freie Dienstnehmer kein Mindestentgelt und keinen Kollektivvertrag, deswegen betrifft das diese Gruppe nicht.

derStandard.at: Was ist ein Inserat? Betrifft die Lohnangabe auch interne Ausschreibungen z.B. via Intranet oder Veröffentlichungen auf Facebook?

Unterrieder: Es gibt keine genaue Definition, was ein Inserat ist. In der Rechtsliteratur existiert die einhellige Meinung, dass alles betroffen ist, was sich an eine größere Anzahl von Menschen wendet.

derStandard.at: Ob das fünf oder hundert sind, ist egal?

Unterrieder: Es ist eine undefinierte Zahl. Also alles, was mehreren zugänglich ist. Wenn man ein Inserat am Schwarzen Brett in einem Unternehmen anbringt, ist das potenziell für eine große Anzahl von Menschen einsehbar, auch wenn es wahrscheinlich faktisch anders aussehen wird. Da wäre es verpflichtend. Bei einem Mail, das an einige wenige geht, wohl nicht. (Oliver Mark, derStandard.at, 1.3.2011)