Luxemburg - Auch bei der Versicherung müssen Frauen und Männer gleich behandelt werden: Anbieter müssen unabhängig vom Geschlecht Unisex-Tarife anbieten. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag in Luxemburg entschieden (Rechtssache C-236/09). Die bisher übliche Berücksichtigung des Geschlechts als "Risikofaktor" für Versicherungsbeiträge diskriminiere Frauen und sei deswegen ungültig. Die Branche muss bis spätestens 21. Dezember 2012 Unisex-Tarife anbieten. Große Anbieter warnen bereits, dass nun die Tarife für alle teurer würden.

Zwar ist die Gleichbehandlung von Männern und Frauen ein Grundsatz des EU-Rechts, doch bisher gibt es bei Versicherungen Ausnahmeklauseln. So werden Versicherungstarife nach dem statistischen Risiko kalkuliert. Dabei spielt das Geschlecht häufig eine zentrale Rolle. Weil Frauen statistisch gesehen einige Jahre älter als Männer werden, zahlen sie zum Beispiel höhere Beiträge für eine private Rentenversicherung. Umgekehrt bezahlen Frauen weniger für die Kfz-Versicherung, weil sie weniger Unfälle verursachen.

Eine solche Ausnahmeregel "läuft der Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zuwider und ist daher nach Ablauf einer angemessenen Übergangszeit als ungültig anzusehen", urteilten die Richter. Die EU habe sich das Ziel gesetzt, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern.

Gleichstellungsrichtlinie

Das Gericht verwies auf die EU-Gleichstellungsrichtlinie von 2004, die geschlechtsneutrale Prämien schon von 2007 an verlange und eine Überprüfung nach fünf Jahren - also Ende 2012 - vorsehe. Ausnahmen seien nur erlaubt, wenn das Geschlecht ein "bestimmender Risikofaktor" ist und dies durch versicherungsmathematische und statistische Daten untermauert werden kann. Im konkreten Fall hatte ein belgisches Gericht die höchsten EU-Richter um Prüfung der Ausnahmebestimmung gebeten.

Die Versicherungswirtschaft (GDV) hat bereits vor Tariferhöhungen gewarnt. Im Schnitt würden die Beiträge steigen, weil der Geschlechtermix als neues Risiko in die Kalkulation eingehe. Verbraucherschützer begrüßen dagegen Unisex-Tarife und sehen keinen Anlass für steigende Prämien. 

Scharfe Kritik aus der Versicherungsbranche

 

Die österreichische Versicherungsbranche hat unterdessen "schwerwiegende Bedenken" bezüglich der Einführung von Unisex-Versicherungs-Tarifen. Sorge bereite auch eine mögliche Ausdehnung auf andere Aspekte der Prämienkalkulation wie etwa das Alter, so Branchenvertreter. Für Frauen etwa könnte es zu Verteuerungen in der Autoversicherung oder bei der Ablebensversicherung und zu niedrigeren Prämien in der Rentenversicherung kommen.

Der EuGH sieht das Geschlecht als "Risikofaktor" in der Versicherungswirtschaft als unzulässige Diskriminierung an. Bereits im Jahr 2004 war von der EU eine Antidiskriminierungs-Richtlinie erlassen worden, die aber in Ausnahmefällen Unterschiede zulässt, sofern das Geschlecht ein bestimmender Risikofaktor ist und dies durch genaue versicherungsmathematische und statistische Daten untermauert werden kann. Wichtig seien für Versicherungen nicht ideologische, sondern versicherungsmathematische Prinzipien, die Relevanz langer statistischer Daten werde nun infrage gestellt, so Manfred Baumgartl, Vorstand der Allianz Österreich und Vorsitzender der Sektion Lebensversicherung im Versicherungsverband (VVO). Es gehe nicht um die Gleichbehandlung von Mann und Frau, sondern um Risikogerechtigkeit. Vieles hänge nun von der Umsetzung ab. 

Alleinerzieherinnen als Verlierer

Zu den Verlierern zählten bei strikter Umsetzung vor allem junge Alleinerziehende Frauen mit einer Ablebensversicherung, die von einer relativ starken Preiserhöhung betroffen seien. Ein Beispiel: Für eine Ablebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 100.000 Euro zahlt ein 30-jähriger Mann rund 140 Euro Prämie, eine Frau dagegen nur 75 Euro. Bei einer - wahrscheinlichen - Mischkalkulation müssten Mann und Frau künftig knapp 110 Euro zahlen, für die Frau bedeute dies eine Verteuerung um rund 40 Prozent, für den Mann würde die Prämie um rund 20 Prozent billiger.

Für Frauen billiger würden Kapitallebensversicherungen und Rentenversicherungen. Derzeit zahlen sie wegen ihrer höheren Lebenserwartung für eine gleich hohe Rente mehr Prämie als ein Mann. Ein 20-jähriger Mann beispielsweise zahlt für eine Rentenversicherung mit 35 Jahren Laufzeit und einer Jahresrente von 12.000 Euro derzeit eine Prämie von 6.560 Euro im Jahr, eine Frau mit 6.860 Euro um rund 4 Prozent mehr. Rund 60 Prozent der Lebensversicherungen entfallen auf Männer, rund 40 Prozent auf Frauen. In der Krankenversicherung ist bereits seit der Umsetzung der Richtlinie aus 2004 das Schwangerschafts- und Mutterschaftsrisiko auf Männer und Frauen gleich verteilt. Künftig könnten die Prämien für Frauen aber billiger werden.

Die Versicherungsbranche sei nach wie vor dafür, dass man Unterschiede dort wo sie vernünftig kalkulierbar seien, auch berücksichtigen solle. Es bestehe die große Sorge, dass die Entwicklung weitergehe, es gebe schwierigere Themen als Unisex. So gebe es derzeit beispielsweise in der Unfallversicherung Risikozuschläge für Freizeitaktivitäten wie beispielsweise Paragliding und manche Extremsportarten seien ganz ausgeschlossen. Eine komplette Neukalkulation über alle Sparten werde bei strikter Umsetzung nötig. Im Prinzip beschreite man eine Weggabelung, bei der man vom bisher gewohnten Weg abweiche. Wie sich eine solche Änderung auf die Zusammensetzung der Versicherten und damit der Risikogruppen auswirke, werde man erst längerfristig beurteilen können. (APA)