Das Drama um den stotternden König verwies Ko-Favoriten wie "The Social Network" und "Inception" auf die Plätze.
Los Angeles - Britische Zurückhaltung verhinderte am Ende einen noch größeren Triumph: Mit der blankpolierten Oscar-Statuette in der Hand bekundete Colin Firth, dass er dem Impuls, auf offener Bühne auszuzucken, nun nicht nachgeben werde. Der 50-jährige Brite verspielte damit leichten Herzens die Chance, der Gala zur Verleihung der 83. Academy Awards ein Glanzlicht aufzusetzen. Einen jener Momente, die im Kontext inszenierter Fröhlichkeit so wirken, als wären sie tatsächlich einer augenblicklichen Euphorie, einem kurzen Kontrollverlust geschuldet, und die anschließend Eingang in die ewigen Oscar-Annalen finden.
An solchen Überschwangs- und Überraschungseffekten fehlte es dem Abend im Kodak Theatre nämlich ein wenig. Die Gewinner der meisten Kategorien konnte man im Vorfeld bereits aus den Rankings der Buchmacher ablesen. Mit der Wette darauf, dass Colin Firth für seine mit Verve hingelegte Verkörperung des nachmaligen britischen Königs George VI in The King's Speech einen Schauspiel-Oscar erhalten würde, war schon längst kein Gewinn mehr zu machen. Auch Nathalie Portmans intensive Darstellung einer hochneurotischen Primaballerina galt als hundertprozentig preiswürdig. Die Nebenrollen-Oscars gingen an zwei Ensemblemitglieder des Boxerdramas The Fighter - an Christian Bale und Melissa Leo, die ebenfalls für jene Form der körperbetonten darstellerischen Anverwandlung von Figuren stehen, die man in Hollywood immer noch schätzt.
Die einzige wirkliche Überraschung des Abends war, dass der britische Regisseur Tom Hooper die Statue für die beste Regie abholen durfte, und sein dritter Kinospielfilm The King's Speech auch noch zum besten Film gekürt wurde. Davon abgesehen herrschte das Prinzip Ausgewogenheit: Trotz hoch favorisierter Anwärter, wurden die Preise am Ende gleichmäßig aufgeteilt.
Christopher Nolans filmische Wunderkammer Inception wurde für den visuellen und technischen Wagemut gewürdigt. David Fincher konnte zwar nicht ganz an seinen Golden-Globe-Erfolg anschließen, The Social Network erhielt jedoch Oscars in drei zentralen Kategorien (Drehbuch, Schnitt, Musik). Tim Burtons Alice In Wonderland bekam die Preise für Ausstattung und Kostüm. Das famose Pixar-Sequel Toy Story 3 wurde zum besten Animationsfilm gewählt - und Randy Newman konnte für den besten Song für Toy Story 3 endlich eine Trophäe mit nach Hause nehmen.
Bei immerhin publicityträchtigen Nominierungen blieb es leider für Lisa Cholodenkos The Kids Are All Right oder Debra Graniks Winter's Bone - neben 127 Hours (mit sechs Nominierungen) ging auch True Grit, das Western-Remake der Coen-Brüder, bei zehn Nominierungen gänzlich leer aus.
Der große Verlierer des Abends ist aber weniger True Grit, der sich immer noch über seinen Kassenerfolg freuen kann. Der große Verlierer ist die Gala selbst. Auch in diesem Jahr wurde kein Rezept dafür gefunden, wie man den Abend aus dem Dauertief in Sachen Unterhaltungswert holen könnte. Die Idee, die Show mit pädagogisch wertvollen Rückblicken auf die eigene glorreiche Vergangenheit aufzupeppen, ist da keine große Hilfe. Vielmehr wirkt das Event als solches nicht mehr zeitgemäß und telegen. Die Einzigen, die aus dem behäbigen Nummernrevue-Konzept noch etwas herausholen können, sind just jene, die mit diesem in die Jahre gekommen sind.
Veteranen-Gaudi
Neben dem hochbetagten Kirk Douglas, der auf buchstäblich billige Schmähs zurückgriff, sorgten Randy Newman (bei rund zwanzig Nominierungen müsse man eigentlich schon ein Gericht beim Lunch für die Preisanwärter nach ihm benennen) oder David Seidler, der Autor von King's Speech, für Lacher. Die vorübergehende Rückkehr von Ex-Moderator Billy Crystal wurde mit Standing Ovations gefeiert.
Das jüngste Moderatorenduo der Oscar-Geschichte konnte sich hingegen nicht profilieren. Anne Hathaway und James Franco versauerten den Abend über langsam in ihrer Doppelrolle als Grußaugust. Selbst eine recht unbekümmerte Komödiantin wie Hathaway und ein Querkopf wie Franco sind auf gute Autoren angewiesen.
In diesem Sinne eine kühne Idee fürs nächste Jahr: Der britische Komiker Ricky Gervais, der bei den Golden Globes heuer so ein- und ausschenkte, dass er dort wohl eher nicht mehr zum Zug kommen wird, schreibt dafür 2012 die Oscar-Gala. Sein Kollege Russell Brand assistiert Anne Hathaway, und James Franco bekommt dann endlich selbst einen Oscar. (Isabella Reicher, DER STANDARD - Printausgabe, 1. März 2011)