Kathrin Stainer-Hämmerle ist seit 2009 Professorin für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten. Lehraufträge hat sie u.a. an der Pädagogischen Hochschule Kärnten. In Kooperation mit der Donau-Universität Krems ist sie für die Steuerung des Master-Lehrgangs Politische Bildung mit verantwortlich. Sie hat zahlreiche Studien und Publikationen in den Bereichen Politische Bildung, Wahlrecht, Partizipations- und Demokratieforschung durchgeführt.

Foto: Helga Bauer

In Österreich wie in Deutschland rückt die frauenpolitische Debatte in Richtung Konservatismus. Claudia Bandion-Ortner, Verena Remler oder auch Adelheid Fürnrath-Moretti geben in Österreich auf christlich-sozialer Seite den Ton an. In Deutschland erfährt die Frauenpolitik seit Jahren durch Angela Merkel, Kristina Schröder und Ursula von der Leyen einen konservativen Aufschwung. Die sogenannte Wahlfreiheit, der Mutter-Kult oder die individuelle Zuschreibung struktureller Missstände sind Beispiele dafür. Aber auch die SPÖ-PolitikerInnen respektive die SPD-PolitikerInnen verabsäumten es, ihre frauenpolitischen Visionen und Ziele nach zu justieren. Im dieStandard.at-Interview erklärt die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle, was frau unter konservativer Frauenpolitik versteht und welches Frauenbild sich dahinter verbirgt.

dieStandard.at: Justizministerin Claudia Bandion-Ortner hat am Donnerstag den Gesetzesentwurf zur gemeinsamen automatischen Obsorge vorgelegt. Die Frauenministerin ist bezüglich der Automatik nach wie vor skeptisch. Wer wird sich durchsetzen?

Kathrin Stainer-Hämmerle: Es ist für die SPÖ schwierig, dagegen zu argumentieren. Im Grund weist dieser Entwurf nämlich auf mehr Gleichberechtigung hin. Das Problem am Entwurf oder überhaupt bei konservativer Frauenpolitik ist, dass dieses Signal zwar richtig ist, aber die Signale in anderen Bereichen fehlen – zum Beispiel in Richtung mehr Gleichberechtigung in der Erwerbsarbeit, oder auch bei der Verteilung der Familienarbeit. Die ÖVP will den Individuen maximale Gestaltungsfreiheit für ihr eigenes Leben übertragen. Allerdings stehen sich die PartnerInnen nicht gleichberechtigt gegenüber. Das heißt, die PolitikerInnen vergessen darauf, das Machtgefälle in der Gesellschaft zu verändern. Die Obsorge-Debatte zeigt, dass es zu keinen substantiellen Veränderungen der Strukturen kommt, aber gleichzeitig auf Individualisierung der Verantwortung für Ungerechtigkeit gesetzt wird.

dieStandard.at: Um Ungleichgewichte zu beseitigen, wird das staatliche Eingreifen in das Private aber nicht ausbleiben können, oder?

Stainer-Hämmerle: Grundsätze der ÖVP-Politik sind einerseits die Wahlfreiheit und andererseits die Anforderungen des Marktes. Da merkt man auch die Zerrissenheit in der ÖVP. Interessanterweise sind gerade diejenigen, die sich etwa für eine Quote oder mehr Kinderbetreuung einsetzen, im Wirtschaftsflügel der ÖVP angesiedelt und widersprechen damit dem konservativen Frauenbild ihrer eigenen Partei. Das tun sie aber nicht, um Frauen gleichzustellen, sondern um Frauen als Reservoir für den Arbeitsmarkt bereit zu halten. Es geht also nicht um einen emanzipatorischen Ansatz im Sinne von Geschlechtergerechtigkeit, sondern um die Interessen der Wirtschaft.

In der Obsorge-Debatte kann aber auch umgekehrt argumentiert werden. Der Staat oder die Gerichte können keine Einigkeit verordnen. Das bleibt den Individuen überlassen. Zudem war es auch bisher immer möglich, sich zu einigen. Das Problem ist, dass Signale in anderen wichtigen Bereichen fehlen. Und der SPÖ fehlt hier das Wording, um dagegen aufzutreten.

dieStandard.at: Das Vokabular der Justizministerin lautet Herstellung des Naturzustands und Natürlichkeit. Ist das nicht problematisch?

Stainer-Hämmerle: Diese Wortwahl ist gut überlegt. Dabei ist es aber besonders interessant, wie schnell hier Männerrechte oder Männerdiskriminierung aufgegriffen werden. Bei den Frauenrechten war die ÖVP nicht so schnell, wenn es um die Veränderungen von Strukturen ging.

dieStandard.at: In Österreich wie in Deutschland ist die Frauenquote derzeit en vogue. Mitterlehner und Heinisch-Hosek scheinen sich auf eine 25-prozentige Frauenquote in staatsnahen Betrieben zu einigen. Wie sinnvoll sind solche Bekenntnisse, wenn die Reproduktions- und Versorgungsarbeit weiterhin den Frauen angelastet wird?

Stainer-Hämmerle: Der Knackpunkt bei der Quote sind die fehlenden Sanktionen. Eine freiwillige Quote ist ein Lippenbekenntnis, und es ist auch schön, wenn der Wirtschaftsminister Ja dazu sagt. Aber wenn die Quote nicht verpflichtend – inklusive Sanktionen – ist, dann kann man viel fordern und wünschen. Aber das ist dann eben nur ein Wunsch an das Christkind. Um etwas zu verändern, muss auf etablierte Strukturen Druck ausgeübt werden, und das geht sicherlich nicht mit Freiwilligkeit.

dieStandard.at: Sie haben es vorhin schon angesprochen: Familienpolitik wird meist zur Frauenpolitik gemacht und somit in einen Topf geworfen. Tatsächlich gibt es aber auch enormen Gestaltungsraum in diesem Bereich. Was also kann frau sich von der neuen Familienstaatssekretärin Verena Remler erwarten?

Stainer-Hämmerle: Ich muss sagen, die erste mediale Aufmerksamkeit, die sie durch ihre Ernennung bekommen hat, hat sie leider sehr wenig genutzt. Das war schon enttäuschend. Es ist nicht deutlich geworden, was ihre Visionen, Ziele und Ideen sind. Der politische Kopf Verena Remler ist für mich bisher nicht sichtbar. Was aber auf keinen Fall den frauenfeindlichen Auftritt der anderen Parteien bei der Vorstellung Remlers entschuldigen darf.

dieStandard.at: Die ÖVP hatte aber auch die erste Ministerin und die erste Landeshauptfrau.

Stainer-Hämmerle: Ja, das sind aber Frauen gewesen, die sich nie über ihr soziales Geschlecht definiert haben oder sich selbst aufgrund des Frau-Seins diskriminiert fühlten. Zum Beispiel wünschte Waltraud Klasnic ausdrücklich als Frau Landeshauptmann angesprochen zu werden. Heute ist das Bewusstsein für Sprache und Symbolik auch bei der ÖVP ein anderes. Aber das Frauenbild der ÖVP ist heute eine hübsche, perfektionierte Dame, rechts das Laptop, links das Baby, High-Heels und Business-Kostüm unter dem Motto: "Seht her, ich werde nicht diskriminiert und ich schaffe alles". Da sind wir wieder bei der Individualisierung. Ganz selten werden in der konservativen Frauenpolitik die Strukturen und das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen thematisiert. Der Begriff Wahlfreiheit steht genau dafür.

dieStandard.at: Im Duktus einer konservativen Frauenpolitik bedeutet das konkret?

Stainer-Hämmerle: Es gibt beispielsweise keine Strukturen für Kinderbetreuung, vor allem am Land, und somit besteht diese vielbeschworene Wahlfreiheit der ÖVP in der Realität nicht. Die Antwort der österreichischen Frauen darauf ist eine klare: Es werden immer weniger Kinder geboren, trotz höchster Familienförderung in Form von Geldleistungen in der EU. Was ich bei den ÖVP-Frauen vermisse, ist der Wille zur Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen und des Bewusstseins.

dieStandard.at: Der Staat zieht sich aber generell zurück, also ist diesbezüglich auch nicht viel zu erwarten, oder?

Stainer-Hämmerle: Ja, er greift nirgends mehr ein. In der Wirtschaftskrise wurde das besonders deutlich, aber die Krise war nur der Gipfel einer Entwicklung, wo es auch ganz offensichtlich geworden ist, wer an den Machthebeln sitzt. Da hätte ich gehofft, dass es die Politik schafft – egal auf welcher Ebene -, neue Rahmenregelungen zu fixieren. Aber diese Chance wurde verpasst. Die Politik hat an Autorität verloren, und auch ihre eigene Visionsfähigkeit. Bei den größten Defiziten wird ein bisschen geflickt, aber Ideale und Zielvorstellungen fehlen. Zudem fehlt es unserer Gesellschaft an Solidarität, vor allem unter Frauen. Daran hat es Frauen schon immer gemangelt.

dieStandard.at: Aber auch die SPÖ konnte ihre frauenpolitischen Agenden in den letzten 20 Jahren nicht wirklich nachjustieren.

Stainer-Hämmerle: Auch bei der SPÖ sind Männerstrukturen am Werk. Zudem hat die SPÖ das Problem des Schrumpfens. Wenn der Kuchen kleiner wird, verlieren Frauen als erste. Den verbalen Bekundungen zur Gleichstellung innerhalb der SPÖ sind auch nur selten Taten gefolgt. Natürlich gab es in den 70er Jahren mit Johanna Dohnal viele wichtige Reformen. Aber wenn man das mit der europäischen Entwicklung vergleicht, war Österreich kein Vorreiter, denn diese Veränderungen gab es damals auch in vielen anderen Ländern.

dieStandard.at: Was kann sich frau in dieser Legislaturperiode frauenpolitisch noch erwarten?

Stainer-Hämmerle: Eigentlich glaube ich, dass man sich wenig erwarten kann. Richtige Frauenpolitik gibt es ja nicht mehr. Gerade jetzt, wo Väterrechte unter dem Thema Frauenpolitik diskutiert werden, sieht man, in welche Richtung die Sache läuft. Nachdem die Diskriminierung von Frauen gesetzlich verboten und damit eigentlich abgeschafft wurde, gleichzeitig auf Individualisierung gespielt wird, sind die großen Feindbilder verschwunden und scheint Gleichstellung kein Thema mehr zu sein. Für eine Veränderung der Situation wird die/der Einzelne verantwortlich gemacht, zugleich werden die diskriminierenden Strukturen komplexer und dadurch immer schwerer fassbar. Große frauenpolitische Fortschritte erwarte ich mir in nächster Zeit auch aufgrund der generellen Substanzlosigkeit dieser Großen Koalition nicht, vor allem nicht im Bewusstsein der Bevölkerung. Da bräuchte es eine andere Sicht auf die Gesellschaft und da ist Österreich noch hoffnungslos konservativ.

(Die Fragen stellte Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 27.2.2011)