Schubhaft, Roßauer Lände: "Um es mir vorstellen zu können, wollte ich die Haftanstalt, in die mein Protagonist geraten wäre, sehen."

Foto: Standard/Matthias Cremer

Ich frage mich, ob ich am Ende auch ein verkappter Terrorist bin. Oder zumindest ein Sympathisant, dessen fragwürdige Parteinahme für Personen, die von der Abschiebung bedroht sind, oder für solche, die das nicht einfach widerspruchslos geschehen lassen wollen, das Landesamt für Verfassungsschutz auch noch einmal unter die Lupe nehmen wird. Ein von Studenten der Akademie der bildenden Künste angefertigtes Video, lese ich, dokumentiert den Weg eines Polizeitransports aus dem Schubhaftgefängnis an der Roßauer Lände zum Flughafen Schwechat. Der Verdacht steht im Raum, dass die Hersteller des Videos die Abschiebepraxis nicht gutheißen.

Oder wie war das? Ach ja, sie könnten auch an Gefangenenbefreiung gedacht haben. Sogar Störung des Flugverkehrs könnte ihnen in den Sinn gekommen sein. Und wer weiß, was solche Kunststudenten sonst noch denken. Die Gedanken sind frei, ach ja, das ist ein altes Lied, es ist im Biedermeier entstanden, das manche auch Vormärz nennen.

An das Gefangenenhaus an der Roßauer Lände hab ich auch meine Erinnerungen. Nein, ich war dort nicht eingesperrt, wie der junge Mann, der seine Schulden nicht zahlen konnte und dann in der Zelle einen sogenannten Schübling kennenlernte, dem er, sobald er selbst wieder in Freiheit war, zu helfen versucht hat. Aber ich habe dort einen Tag verbracht. Das war vor mehr als zehn Jahren, als ich an meinem Roman Schwarzer Peter schrieb.

In diesem Roman geht es um einen etwas anderen Österreicher, ein sogenanntes Besatzungskind. Peter heißt er. Und ich habe mich ein bisschen in seine Haut hineingedacht. Hineingeschrieben. In die Geschichte eines etwas dunkler pigmentierten Peter. Der nach Kindheit, Jugend und einer gescheiterten Ehe in Wien nach New Orleans geht und ein Vierteljahrhundert dort bleibt, bis er sich, von unerwartetem Heimweh erfasst, zu einem Trip nach seiner alten Heimatstadt entschließt, wo er akkurat im Schubhaftgefängnis landet.

Das war die Fiktion. Dem Mann kommt sein Pass und seine Brieftasche abhanden, da er sich nicht ausweisen kann, aber zureichend schwarz ist, wird er von der Polizei für einen Afrikaner gehalten. In der Fußgeherzone Kärntnerstraße, wo er, Musiker, der er ist, durch Bluesspielen Geld zu verdienen versucht, wird er perlustriert und verhaftet. Zwar spricht er nicht nur sehr gut Englisch, sondern auch erstaunlich gut Deutsch oder das, was man als österreichische Umgangssprache bezeichnet. Aber dass so ein Schwarzer derart viel redet, noch dazu fast so, wie den Hiesigen der Schnabel gewachsen ist, kommt gar nicht gut an - es wird ihm eher als besondere Frechheit ausgelegt.

Das war einerseits eine fast skurrile Idee, aber anderseits konnte ich es mir gut vorstellen. Um es mir noch besser vorstellen zu können, wollte ich die Haftanstalt, in die mein Protagonist geraten wäre, sehen. Das ging damals, im April 1999, einfacher, als ich gedacht hätte. Bei Amnesty International sagte man mir, dass der Leiter des Gefangenenhauses, Major Z., ein ansprechbarer Mann sei, also sprach ihn an, und zwar zuerst telefonisch.

Er hatte Verständnis für das, was ich wollte. Für meinen Besuch bei ihm brauchte ich allerdings die Bewilligung der Pressestelle der Bundespolizei. Auch dort war man freundlich. Man kannte sogar meinen Namen. Und der Major Z. nahm sich dann mehrere Stunden Zeit, um mich im Polizeigefangenenhaus herumzuführen.

Er war bemüht, mir zu zeigen, dass man die Gefangenen im Rahmen der Möglichkeiten human behandelt. Das habe ich nicht bezweifelt. Das Inhumane ist das System. Die Fiktion meines Buchs hielt er für durchaus realistisch. Wenn einer aufgegriffen wird, der keinen Pass hat, und wenn er sich den Kollegen im Streifendienst gegenüber als renitent erweist, kann er über seine Herkunft und deren besondere Umstände erzählen, was er will - er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit im Schubhaftgefängnis landen.

Es sei nicht seine Aufgabe, sagte der Major, darüber zu befinden, ob die Geschichte, die ein Häftling erzählt, der Wahrheit entspricht oder nicht. Dafür sei das fremdenpolizeiliche Büro in der Wasagasse zuständig. Seine Aufgabe sei nur die Verwahrung des Häftlings. Wenn alles glatt gehe, könne man den Mann oder die Frau nach durchschnittlich zehn Tagen auf den Flughafen eskortieren.

Mit oder ohne Videodokumentation. Von so etwas war damals noch nicht die Rede. Das waren noch Zeiten! Ein paar Wochen vor dem Tod des Marcus Omofuma. Danach wäre die Bewilligung für eine derartige Besichtigung wahrscheinlich schwerer zu bekommen gewesen.

Und jetzt ...? In Hinblick auf die nun erscheinende Taschenbuchausgabe war ich in den vergangenen Monaten wieder mit dem Schwarzen Peter beschäftigt. Also aufs Neue sensibilisiert für das Thema. Dass ein nach zehn Jahren neu aufgelegtes Buch so aktuell geblieben ist, ja an Aktualität gewonnen hat, ist schön für den Autor. Aber es ist erschreckend in Bezug auf die Verhältnisse. In Bezug auf die Normalität, in der wir inzwischen leben. In diesem Land Österreich, in diesem Kontinent Europa, in dieser Welt des 21. Jahrhunderts. In einer bodenlos bösen Realität, in die wir im Lauf des vergangenen Jahrzehnts hineingezogen wurden. So etwas geht schneller, als man glaubt, aber niemand soll sagen, er hat nichts davon gemerkt und gewusst.

Alltägliches Unrecht

Von diesem alltäglichen Unrecht, das hier und anderswo unter dem Vorwand des Rechts, der Sicherheit, des Vollzugs von Gesetzen geschieht, zu deren schon festgeschriebener Inhumanität immer noch perfidere Verschärfungen ausgeheckt werden. Von den Risken, die Behörden und die Bürokratie in Kauf nehmen - nicht für sich wohlgemerkt, sondern für die Menschen, deren Fälle sie amtsbehandeln. Gewiss, der "Fall" Omofuma war ein Extremfall - dass so ein Bimbo schon unterwegs draufgeht, noch dazu mit Beihilfe der ihn begleiteten Polizisten, war nicht vorgesehen. Aber was folgt, wenn man, im sogenannten Normalfall, die Person oder die Unperson, die man im Zuge buchstabengetreuer Pflichterfüllung loswerden musste, bei gutem Wind losgeworden ist, das weiß man ja nicht, das will man auch gar nicht wissen, das soll einen nicht weiter interessieren.

Was folgt, wenn der fremde Mensch, den wir, auch wenn wir ihn vielleicht gekannt haben, dann möglichst rasch vergessen sollten, in einem sogenannten sicheren Drittland ankommt. Oder in irgendeinem, aufgrund der Verhältnisse, die dort herrschen (auch wenn sie von den dort Herrschenden, von denen sich die hier bei uns Regierenden nur allzu gern überzeugen lassen, schöngeredet werden), noch dubioseren Land irgendwo in Asien oder Afrika. Und wenn er dort möglicherweise von genau jenen in Empfang genommen wird, vor denen er davonkommen wollte. Das geht die Damen und Herren, die diese Behandlung verordnet haben, nichts mehr an, dafür fühlen sie sich nicht verantwortlich.

Aber genau das ist es, was nicht verdrängt werden darf. Es wäre wichtig, nicht nur Videos zu haben, die den Transport vom Schubhaftgefängnis bis zum Flughafen dokumentieren, sondern auch solche, die Flug, Zwischenlandung und Ankunft am womöglich endgültigen Ziel solcher Reisen dokumentieren. Es wäre auch richtig und wichtig, diese Videos der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und auf jeden Fall ist es wichtig und richtig, das menschliche Minimum an Fantasie und Empathie aufrechtzuerhalten, zu fördern und zu fordern, die es braucht, um sich das vorzustellen.

Damals, im vorigen Jahrhundert, als man das alles noch nicht für ganz so normal hielt, haben Barbara Frischmuth, Josef Haslinger und ich im Rahmen von Amnesty-Veranstaltungen aus abschlägigen Asylbescheiden gelesen. Signifikant, dass sich die mit den diversen "Fällen" beschäftigten Beamten meist weigerten, den Asylantragstellern ihre Geschichten zu glauben. Je dunkler die Hautfarbe der ihnen ausgesetzten Menschen war, desto weniger glaubten sie ihnen. Womit ich wieder beim Schwarzen Peter wäre, aber seine Geschichte ist ja eine vergleichsweise harmlose.

Heimito von Doderer verwendet, meist in harmloseren Zusammenhängen, den Begriff Apperceptionsverweigerung. Aber genau darum geht es: die Verweigerung bewusster Wahrnehmung. Dagegen müssen wir ankämpfen, als Kunststudenten, als Schriftsteller, als Staatsbürger. Wir sind lauter Einzelne, aber manchmal tut es gut zu bemerken, dass wir nicht allein sind. (Peter Henisch, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 26./27. Feburar 2011)