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Gaddafi mit einer Waffe – die Massenvernichtungswaffen gab er zwar ab 2003 auf, aber noch sind zehn Tonnen Giftgas im Land.

Foto: APA/EPA/Sabri

Zehn Tonnen Senfgas sind jedoch noch übrig, aber höchstwahrscheinlich keine Sprengköpfe.

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Wenn Libyens abgesprungener Justizminister Mustafa Abdel-Jalil davor warnt, dass Muammar Gaddafi chemische und biologische Waffen gegen den Aufstand einsetzen könnte, legt er den Finger auf eine offene Wunde: Denn die libyschen Unruhen sind just ausgebrochen, bevor die letzten mindestens zehn Tonnen Senfgas zerstört werden konnten, die mit Sicherheit noch in libyschem Besitz sind.

Die Abrüstung der libyschen Chemiewaffen inklusive 25 Tonnen Senfgas, der Gaddafi 2003 zustimmte, stand unter Kontrolle der OPCW (Organization for the Prohibition of Chemical Weapons) und hätte bis Ende 2010 abgeschlossen werden sollen. Die Frist wurde jedoch - wie zuvor schon von 2007 auf 2010 - bis Mai 2011 verlängert. Die Vernichtung war schleppend vor sich gegangen, offenbar vor allem, weil sich Gaddafi im Gegenzug eine schnellere Normalisierung der Beziehungen zu den USA erwartet hatte. Und er hielt lange Zeit jene Länder zum Narren, die sich darum bewarben, die Anlage zur Einäscherung der Chemiewaffen in der pharmazeutischen Anlage in Rabta, etwa 65 südwestlich von Tripolis, zu bauen. Dort befinden sich jetzt auch die gut zehn Tonnen Senfgas.

Das US-Außenministerium beruhigt dennoch: Man geht davon aus, dass alle Sprengköpfe beziehungsweise Gehäuse, die mit Giftgas befüllt werden könnten, bereits zerstört sind. Theoretisch könnten Giftgase auch aus Flugzeugen eingesetzt werden, das ist aber sehr kompliziert.

Das libysche B-Waffenprogramm war hingegen nach heutigem Wissensstand äußerst rudimentär. Libyen dürfte technisch nie in der Lage gewesen sein, biologische Waffen herzustellen.

Auch das Atomprogramm, das Libyen 2003 aufgab, war in den Anfängen. Jedoch erinnert gerade eine Episode aus dem nuklearen Umfeld daran, wie unberechenbar Gaddafi ist: Ebenfalls aus Ärger über die USA verweigerte Gaddafi im November 2009 die Herausgabe des letzten im Land befindlichen hoch angereicherten Urans (HEU), das von einer russischen Maschine außer Landes geschafft werden sollte. Sohn Saif al-Islam informierte den US-Botschafter darüber, dass Libyen "die Nase voll habe" und für seine Abrüstung von den USA Militärgüter und andere Kompensation verlange.

Die Libyer ließen die 5,2 kg Uran beinahe unbewacht in der Nuklearanlage Tajoura, in Behältern, die zu lecken drohten. Erst ein Anruf von US-Außenministerin Hillary Clinton bei ihrem Amtskollegen Musa Kusa brachte Gaddafi zum Einlenken, und das HEU wurde im Dezember 2009 übergeben und weggebracht. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 26.2.2011)