Eine Million pro Jahr will Ford vom neuen, in Deutschland entwickelten Focus verkaufen. Die Strategie eines "Weltautos" ist bisher zwar regelmäßig gescheitert - andererseits: Dieser Golf-Gegner ist ein erstaunlich gutes Auto

Ford ist eine traditions-, geschichtsbewusste Marke. Da verwundert nicht weiter, dass die internationale Fahrvorstellung des neuen Focus dieser Tage in der Gegend von Jerez de la Frontera, Andalusien, stattfindet - 1300 Jahre nach der muselmanischen Invasion, nach deren siegreicher Schlacht gegen die zerstrittenen Westgoten im Jahr des Herrn 711. Wir legten selbstverständlich eine Gedenkminute ein, arme Goten.

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Zu streiten gibt es über den neuen Focus nicht viel, das ist ohne viel Wenn und Aber ein rundum stimmiges Auto. Allenfalls könnte man sich Gedanken machen, ob er ein solcher Welteroberer werden kann, wie seine Macher es verlangen: Die in Deutschland entwickelte Baureihe soll in den USA ebenso reüssieren wie in China, Russland und Europa, auf 120 Märkten, man hat also gleich die ganze Welt im Focus.

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Weltauto nennt sich das, und es ist ein Konzept, das bisher nicht sonderlich erfolgreich war, bei keinem Hersteller, der sich darin versucht hat. Gedacht sei, sagt Ford, an eine Million verkaufte Focusse pro Jahr.

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Eines der Risiken liegt beim Design - zumindest eine der drei Karosserievarianten muss jedem gefallen. Der 4-Türer, die Limousine, erfüllt diese Mindestanforderung für Mitteleuropa derzeit nicht, heißt es, er wird bei uns also gar nicht erst angeboten. Es sei denn, VWs Jetta entpuppt sich als solch grandioser Erfolg, dass Ford handeln müsste. Was man dann natürlich umgehend könnte.

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Vorwärts, zurück, vorwärts

Außerdem gewinnt man den Eindruck, dass Ford beim Focus-Styling die Strategie "Zwei Schritte vorwärts, einer zurück" verfolgt: Bewies die erste Generation (1998, New Edge Design) noch besonders viel Mut, so verließ dieser die Macher bei der zweiten (2004) merklich. Jetzt heißt es wieder: Doppelschritt nach vorn.

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Beim 5-Türer stößt man sich nur an einem Detail, der Grafik der Heckleuchten, wer hat denn das abgesegnet? Ansonsten wirkt der neue Focus, außen wie innen, sehr ansehnlich, hingepinselt im aktuellen Stil des Hauses, der sich Kinetic Design nennt.

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Beim Interieur wäre ferner lobend zu erwähnen das redliche Bemühen um Ergonomie, allerdings wirkt die Mittelkonsole ein wenig überfrachtet, und bis zu 22 Funktionen im Lenkrad stellen wohl auch irgendwo eine Obergrenze dar, hinsichtlich Bedienungskomfort.

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Wie sich bei den ersten Testfahrten zeigte, hat der Golf-Gegner unter anderem dort noch einmal nachgelegt, wo er schon bisher stark war. Fahrwerk. Dieser Mix aus fahraktiv und komfortabel: souveräne Darbietung, das geht verdächtig in Richtung Klassenbestwert.

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Nur die neuerdings elektrische Lenkung wirkt um die Mittellage zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Bei den Motoren (fünf Diesel, vier Benziner, 95 bis 182 PS) ist man stolz auf das Erreichte - kein einziges Aggregat schnalzt beim CO2-Ausstoß über die Grenze von 140 g/km. Start-Stopp-System gibt's vorerst nur für die 1,6-Liter-Diesel und -Ottos.

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Abgesehen vom Fahrwerk, bremst der neue Focus die Konkurrenz in einem weiteren Punkt aus. Fahrassistenzsysteme. Spurhalteassistent, Verkehrsschild-Erkennung, Auffahrwarnung mit aktivem Bremseingriff, Toter-Winkel-Assistent, Müdigkeitswarner, adaptiver Tempomat, Einparkassistent undundund: Diese Fülle des Angebots ist (derzeit) singulär in der Golf-Liga, wenn überhaupt, bekommt man so was erst eine Etage höher, in der Mittelklasse.

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Da werden die Gegner aus Europa und Fernost, die nach Dutzenden zählen, also was zu kiefeln haben. Auch insofern ist der neue Focus ein echtes Weltauto. (Andreas Stockinger/DER STANDARD/Automobil/25.02.2011)

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