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Michelle Bachelet (59) war zwischen 2006 und 2010 als erste Frau Präsidentin Chiles. Davor war die Kinderärztin und Sozialistin Gesundheitsministerin und Verteidigungsministerin. Sie lebte während der Pinochet-Zeit in Deutschland im Exil.

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Standard: Seit Jänner sind Sie operativ tätig. Was sehen Sie als Ihre wichtigste Aufgabe an?
Bachelet: UN-intern ist es so, dass die Aufgaben fragmentiert waren, sodass man sich entschlossen hat, die Frauenangelegenheiten zusammenzufassen. Ich versuche, die Schlagkraft zu erhöhen, eine stärkere Organisation zu bilden.

Standard: Was sind Ihre Prioritäten in der Arbeit nach außen?
Bachelet: Die Stimme der Frauen muss gehört werden, auf allen Ebenen. Es gibt natürlich je nach Weltregion unterschiedliche Aufgaben und Probleme: In der entwickelten Welt ist die Gehälterdifferenz zwischen Männer und Frauen ein ungerechter Zustand, in Entwicklungsländern geht es vor allem darum, Frauen überhaupt Zugang zu Bildung und zu einer Beschäftigung zu ermöglichen.

Standard: Wie sieht es auf der politischen Ebene aus?
Bachelet: Die größte Kluft besteht im politischen Bereich. Von allen Parlamentariern weltweit sind nur 19 Prozent Frauen. Von 192 Staats- und Regierungschefs sind nur 19 weiblich. Wenn Frauen in Gremien vertreten sind, dann werden Frauenangelegenheiten berücksichtigt. In Norwegen hat man zum Beispiel gute Erfahrungen damit gemacht. Dort ist es auch Pflicht, dass 40 Prozent der Aufsichtsratsmandate in einem Unternehmen von Frauen besetzt sind.

Standard: Sind Sie für Quotenregelungen?
Bachelet: Was wir brauchen, sind fördernde Maßnahmen. Das können Quoten sein oder andere Aktionen. Es gibt 25 Länder, in denen der Frauenanteil mehr als 30 Prozent beträgt. Davon haben aber nur vier kein Quotensystem.

Standard: Sie sind also für Zwangsmaßnahmen?
Bachelet: Ich bin für Förderungsmaßnahmen. Aber jedes Land soll souverän entscheiden. Hauptsache Frauenförderung, egal, ob mit oder ohne Quoten. Eine Hebung des Frauenanteils etwa in Parlamenten kann auch erreicht werden, indem Parteien, die mehr Kandidatinnen aufstellen, ökonomische Anreize erhalten. Darüber wird derzeit in Chile diskutiert, wo der Frauenanteil im Parlament bei nur zwölf Prozent liegt.

Standard: In Österreich wird versucht, durch verpflichtende Gehaltstransparenz für Firmen zu erreichen, dass Frauen gleich bezahlt werden. Ist das der richtige Weg?
Bachelet: Jedes Land soll seinen eigenen Weg gehen. Ich habe als chilenische Präsidentin ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass Frauen klagen können, wenn sie nicht gleich bezahlt werden.

Standard: Sie wollen auch das Gewaltthema stärker in den Vordergrund rücken. Wie?
Bachelet: Wir werden Kampagnen contra die Gewalt gegen Frauen führen. Aber das ist eine Sache für die ganze Gesellschaft. 70 Prozent aller Frauen weltweit erfahren körperliche oder sexuelle Gewalt von Männern mindestens ein Mal in ihrem Leben. Es muss auf UN-Ebene mehr Aktionen geben.

Standard: Welche?
Bachelet: Wir wollen uns im Bereich der UN-Blauhelmmissionen engagieren. Wir werden mit Trainingsmaßnahmen anfangen. Wir wollen den Frauenanteil bei den Polizeikräften erhöhen. Wir haben schon Bataillone für Bangladesch oder Indien, nur aus Frauen bestehend. Dort gibt es viel sexuelle Gewalt. Es ist einfacher für Frauen, mit Frauen zu reden. Wenn man in Konfliktregionen Frauen in Uniform sieht, auch mit der Waffe in der Hand, dann wirkt das ganz anders. (Alexandra Föderl-Schmid/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.2.2011)