Flechten sind wahre Extremisten: Sie gedeihen unter den schwierigsten Bedingungen.

Foto: Bergmayr

Graz - Eine internationale Forschungsgruppe hat rund 100 neue Flechtenarten entdeckt. Wissenschafter vom Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Graz sind Teil des Teams unter der Leitung des Field Museum in Chicago. Die neuen Funde wurden in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Phytotaxa beschrieben. Mit rund zehn Experten befindet sich in Graz eine der europaweit größten Lichenologengruppen.

Flechten sind eine Lebensgemeinschaft eines Pilzes mit einer Alge. "Sie sind in der Lage, auch die unwirtlichsten Lebensräume zu besiedeln", so Martin Grube, Botaniker an der Uni Graz. Daher kann man Flechten auch überall auf der Welt finden, schildert der Lichenologe. "Wir gehen davon aus, dass es weltweit zwischen 750.000 und 1,5 Millionen Pilz- und Flechtenarten gibt, erst 100.000 davon sind bisher bekannt." Geht die Beschreibung der Arten im Tempo der Publikationen der vergangenen 50 Jahre weiter, würde es 200 Jahre dauern, um die vermutete Zahl an unentdeckten Arten zu publizieren, so die Autoren der Studie.

Wettlauf gegen das Verschwinden

Mittlerweile befinden sich die Forscher jedoch in einem Wettlauf mit der Zeit: "Viele der Flechten haben wir in den Tropen gefunden, die durch die Abholzung stark in Gefahr sind. Wir müssen schauen, dass wir vor der Vernichtung der Arten an die Biodiversitätsdaten kommen", so Grube, der den Formenreichtum aber auch die Hintergründe für die ungeheure Diversität der Flechten untersucht. Um wenigstens einen Teil erforschen zu können, bevor sie ausgestorben sind, haben sich die Wissenschafter nun international stärker vernetzt und publizieren gemeinsam.

An der aktuellen Publikation haben 103 Autoren mitgearbeitet. Die neu gefundenen Spezies stammen z. B. von den Galapagos Inseln, von Fiji, aus Panama, Kenia, Tasmanien und aus der Antarktis, aber auch aus gut erforschten Gebieten in Europa oder den USA. Unter Beteiligung der Grazer Experten wurden drei Arten aus einem Küstenregenwald in Südwest-Costa Rica, einer in Spanien und der Steiermark lebenden Art sowie einer aus einem tropischen Regenwald Süd-Costa Ricas stammenden Flechtenart publiziert.

Extremisten

Flechten sind für die Forschung interessant, da sie in allen Regionen der Erde auch unter extremsten Bedingungen gedeihen. Sie werden als Bioindikatoren für Luftverschmutzung, insbesondere die Schwefeldioxid-Belastung herangezogen, aber auch der Klimawandel lässt sich laut Grube an Veränderungen der Flechtenwelt dokumentieren. Die Grazer Lichenologen forschen seit den 1970er Jahren über die Biodiversität, Biologie und Evolution dieser Organismen. Ein zentrales Thema sind Flechten der Hochlagen, insbesondere der Alpen. Einen neuen Schwerpunkt bildet die Selektivität der Partnerschaften in der Flechtensymbiose, wozu auch die Vergesellschaftung mit Bakterien gehört. (red/APA)