Artur Schroers, Leiter des Wiener Instituts für Suchtprävention.

Foto: Matthias Brandstetter

Der Sozialwissenschafter Artur Schroers sprach mit Kurt de Swaaf und plädiert für klare Regelungen im Umgang mit alkoholkrankem oder gefährdetem Personal sowie für Stressbewältigung ohne Alkohol.

Standard: Eine neue Schweizer Studie beziffert den durch Alkoholkonsum am Arbeitsplatz verursachten wirtschaftlichen Schaden auf eine Milliarde Franken jährlich. In Österreich sollen die Einbußen 76 Millionen Euro pro Jahr betragen. Stimmen diese Zahlen?

Artur Schroers: Es hängt davon ab, was gemessen wird. Rechnen die Studien mit denselben Kriterien? Wir orientieren uns in Österreich an den Zahlen in Deutschland, weil hierzulande harte Daten fehlen. Es findet auf diesem Gebiet wenig Forschung statt.

Standard: Alkoholkonsum und -missbrauch sind in Österreich generell gesunken. Ist das auch in den Betrieben so?

Schroers: Möglicherweise ja, doch auch hier fehlen seriöse Zahlen. Die Gesamtbevölkerung spiegelt sich natürlich in den Betrieben wider, insofern wäre eine Abnahme schon zu vermuten. Das gesellschaftliche Image des Alkohols hat sich geändert. In vielen Betrieben werden alkoholische Getränke nicht mehr so öffentlich konsumiert wie früher. Auch die Suchtprävention und die Thematisierung von Alkoholproblemen in den Medien tragen bestimmt zum Trendwechsel bei. Vor 20-30 Jahren war die Sensibilität für dieses Thema ganz gering.

Standard: Wie bekämpft man Alkohol am Arbeitsplatz besser?

Schroers: Dazu müssen mehrere Maßnahmen greifen. Die Personalverantwortlichen, die Führungsebenen, müssen zuerst sensibilisiert werden. Danach braucht man Präventionsleitfäden und konkrete Regelungen für den Umgang mit gefährdeten und alkoholabhängigen Mitarbeitern. Einiges kann auch in Betriebsvereinbarungen geregelt werden. Viele Überlegungen fangen jedoch erst an, wenn ein Mensch bereits alkoholkrank ist. Stattdessen ist es viel sinnvoller, bei den Vorstufen anzusetzen.

Standard: Plädieren Sie für ein Generalverbot von Alkohol vor und während der Arbeitszeit?

Schroers: "Punktnüchternheit" muss das Ziel sein. Allerdings ist diesbezüglich ganz viel schon im Arbeitsschutzgesetz geregelt. Die Arbeitnehmer dürfen sich nicht durch Alkohol oder sonstige berauschende Substanzen in einem solchen Zustand befinden, dass sie sich selbst oder andere Menschen gefährden. Das ist die oberste Maßgabe. Es sind auch die Arbeitgeber in der Pflicht. Sie müssen über die Risiken und Gefahren von Alkoholkonsum informieren. Die klarste Regelung aber wäre natürlich: Vor und während der Arbeit wird einfach nicht getrunken.

Standard: Wie erkenne ich, ob ich alkoholsuchtgefährdet bin?

Schroers: Wenn man pro Tag nur ein 0,2-Liter-Glas Wein, nach der Arbeit natürlich, und zwei Tage in der Woche gar nichts trinkt, dann liegt der Konsum unterhalb der Harmlosigkeitsgrenze. Wer aber eine Flasche Wein am Abend trinkt, der hat einen problematischen Konsum. Das ist klar gesundheitsschädigend. Eine weitere wichtige Frage der Selbstreflexion ist: Wann trinke ich denn Alkohol? Wenn ich Probleme habe? Habe ich etwa keine andere Möglichkeit mehr, um mich zu entspannen? Wenn nicht, dann wird's riskant. Man sollte in so einem Fall dringend Alternativen suchen. Es gibt z. B. gute Kurse für bessere Stressbewältigung. Ratsam sind auch mehr Bewegung und Freizeitaktivitäten, statt nach Hause kommen, erschöpft sein und Bier trinken. Wenn alles nicht hilft - einen Arzt oder professionellen Suchtberater aufsuchen. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD Printausgabe, 21.02.2011)