Bild nicht mehr verfügbar.

Reding mit ihrer stärksten "Waffe", der Charta für Grundrechte. Die Kommissarin rügt diskriminierende Gesetze.

Foto: Laurent Gillieron/AP/dapd

STANDARD: Die Änderungen im ungarischen Mediengesetz wurden von Ihrer Kollegin Neelie Kroes verhandelt, auf Verstöße gegen eine Richtlinie nur für audiovisuelle Medien geprüft: Warum nicht auch von Ihnen?

Reding: Ich will das an einem Beispiel erklären. Ich bekomme viele Zuschriften von Bürgern, die mir sagen, dass sie bei einer Scheidung schlecht behandelt wurden. Das mag ja stimmen. Aber ich kann da nicht eingreifen. Das ist nationale Zuständigkeit, ich kann da nichts machen.

STANDARD:  Auch nicht als Mitbeteiligte, um journalistischen Grundrechten Gewicht zu geben, um die es ja geht?

Reding: Dann müsste ich ja alles machen. Nein, jeder Kommissar hat einen Eid abgelegt, dass in seinem Zuständigkeitsbereich die Charta ohne Wenn und Aber angewandt wird. Das muss jeder für sich machen.

STANDARD: In Ihrem Sinn also?

Reding: Selbstverständlich. Bei der Frage der Ausweisungen der Roma aus Frankreich war das anders, das lag in meinem Fachbereich für Freizügigkeit von Personen, wo ich direkt zuständig bin. So wie bei der Sache mit den Homosexuellen in Litauen, da bin ich hingefahren und habe Präsidentin und Justizministerin die Charta hingelegt. Dann war es vorbei mit diesem Spuk, weil ich zuständig bin für die Antidiskriminierungsrichtlinie. Kommissarin Malmström wird dafür sorgen, dass die Charta bei der Vorratsdatenspeicherung angewandt wird, Kallas beim Ganzkörperscanner.

STANDARD: Im ungarischen Fall bleibt bei vielen aber ein schlechter Nachgeschmack, dass das ja nicht alles gewesen sein kann. Sie sind ja nicht nur Umsetzer von Paragrafen, sondern Politiker, die sich klar äußern, Reformen vorschlagen können.

Reding: Ich war zehn Jahre zuständige Medienkommissarin. Ich kenne die Mediengesetze in- und auswendig. Es wäre ganz gut, diese Mediengesetze in allen 27 Mitgliedstaaten unter die Lupe zu nehmen. Da würde manches Interessante zutage treten.

STANDARD:  Meinen Sie ähnliche Verstöße in sogenannten alten EU-Ländern?

Reding: Genau. Ich kann Ihnen sagen: Das meiste in den Mediengesetzen fällt unter Subsidiarität, also Zuständigkeit der Staaten. Aber ob das gut ist, weiß ich nicht. Deshalb wäre es gut, wenn wir europaweit eine solche Debatte führen würden. Dann muss man aber auch alle Mediengesetze anschauen, auch das deutsche, das französische, das luxemburgische, das dänische und auch das österreichische.

STANDARD:  Im EU-Parlament arbeitet man daran, die Kommission zu beauftragen.

Reding: Das hatte ich angestoßen. Ich habe gesagt, ich könnte neben Ungarn zehn Staaten zitieren, wo es ähnliche Probleme gibt. Das kann meinungsbildend sein: Wo sind gute Beispiele und wo schlechte. Was mich so schockiert hat, war, dass meinem Vorschlag, in den EU-Ländern von der Politik unabhängige Medienbehörden zu haben, nicht zugestimmt wurde. 24 Staaten waren dagegen, und zwar lautstark, auch Österreich. Vielleicht führt der Fall Ungarn zu einem Gesinnungswandel, zu Einsicht. (Thomas Mayer, DER STANDARD; Printausgabe, 19./20.2.2011)