Michikazu Matsune, Paulina Sarbinowska, Xiaoshu Alice Hu und Mischa G. Hendel (v. li.) im Brut.

Foto: Peter Mayr

Wien - Jedes Kunstprojekt mit und über Menschen, die durch unsere Gesellschaft behindert werden, ist wichtig. Dabei kommt jenen Arbeiten, die in tiefere Diskursgefilde vorstoßen, ganz besondere Bedeutung zu. Der aus Japan stammende österreichische Choreograf, Performer und Künstler Michikazu Matsune hat dafür ein besonderes Geschick.

Matsune ist ein Virtuose der Verunsicherung: in seinem neuen Stück Zeichensturm über Gehörlosigkeit, das gerade im Koproduktionshaus Brut uraufgeführt worden ist, genauso wie vor einem Jahr mit der Installation Daneben. Damals ging es um die Ausstellung von Asylwerbern. Die von Matsune gemeinsam mit David Subal konzipierte Arbeit wurde gelobt, aber auch heftig diskutiert. In Bezug darauf hieß es, die Präsentation von lebenden Menschen als Objekte aus dem Museum sei respektlos.

Doch wenig später setzte der Südafrikaner Brett Bailey bei den Wiener Festwochen im Völkerkundemuseum bei Exhibit A: Deutsch Südwestafrika mit seiner ganz ähnlichen Installation nach: Nicht die Ausstellung der Menschen durch die Künstler ist also frivol, sondern das Dulden von politischen Mechanismen, die zu Ausweisung (Matsune) oder Massenmord (Bailey) führen.

Auch Zeichensturm, das aktuelle Stück, ist eine Herausforderung. Ein unheimlich leichtes Stück, das auf den ersten Blick den Eindruck vermittelt, als wollten die teilnehmenden Gehörlosen bloß zeigen, was sie alles können: tanzen, jonglieren, schwierige oder auch anzügliche Begriffe in Gebärdensprache formulieren.

Doch Matsune setzt das fröhliche Tun vor eine Übermarionette: das Fernsehen, repräsentiert durch signtime.tv, eine österreichische Web-TV-Initiative für Gehörlose. In einer Persiflage auf die Nachrichten erscheinen groß im Bild der Moderator in Gebärdensprache und - klein, im Eck - ein Talking Head, der die Gesten in Gesprochenes übersetzt.

Das sitzt. Kaum ein großer Sender schert sich darum, seine Nachrichten in Gebärden zu übersetzen. Geschweige denn, die Verhältnisse derart umzukehren, dass alle Nachrichten von Gebärdenmoderatoren präsentiert werden und die Sprecher nur im Kästchen zu sehen sind. So werden Behinderungen konstruiert.

Die gehörlosen Performer bei Zeichensturm reagieren darauf mit einer Verspottung der Talkshow-Plattheit. Als Gegenpol dazu erzählen einige Ältere, wie sie die NS-Zeit erlebt haben. Und es wird vor allem auf Englisch gebärdet, wobei die Performer nicht nur Europa repräsentieren, sondern auch Afrika und China.

Brustschwach, ausgrenzend

In die Leichtigkeit des Stücks ist ein so gut durchdachtes Diskursgewebe eingespannt, dass bis zum Schluss keine Geste als Anklage von der Bühne her kommt, es danach aber völlig absurd erscheint, unsere brustschwache und ausgrenzende Barrierengesellschaft so weiterzuschleppen wie bisher. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 19./20. Februar 2011)