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Alois Brandstetter: Der Postfuchs spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Die Postler aus "Zu Lasten der Briefträger" kommentieren in seinem neuen Roman am Stammtisch die Welt.

Foto: APA/LUKAS BECK

Geredet wurde schon immer in Romanen. Bereits Giovanni Boccaccios Decamerone gründete konstruktiv auf Mit- und Gegeneinanderreden; und der rote Faden ganz wörtlich genommener Rhetorik ist bis heute nicht abgerissen. Der Schweizer Gerhard Meier etwa ließ sein Disputations-Duo Baur und Bindschädel in vier welthaltigen Bänden durch die innerschweizer Provinz schreiten und reden, reden, reden.

Der Roman mit ausgreifender, auswuchernder Rhetorik, hierzulande mit inkludierter Tendenz zur Totalglobalromangroteske, ist eine alte Literaturtradition, die von Johann Beer über Friedrich Torbergs Tante Jolesch und deren Untergang des Abendlandes in Anekdoten bis zu Thomas Bernhard reicht, der das Rhetorische zum elaboriert musikalischen Einzeldialog erhob. Diese Namensliste ist zu ergänzen um den 1938 geborenen Oberösterreicher Alois Brandstetter. Der habilitierte Altgermanist, der bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 33 Jahre lang an der Uni Klagenfurt lehrte, stellte sich vor zehn Jahren, natürlich in einer Rede, mild ironisierend, wie es bei ihm so häufig der Fall ist, in eine Wunsch-Reihe mit dem oberösterreichischen Barockpoeten Beer und dem artistisch-poetischen H. C. Artmann.

Auch der jüngste Roman des so produktiven wie vielgelesenen Alt-Ordinarius kreist um nichts anderes als direkte, unverstellte Rede, mündlichen Austausch und verbale Kollisionen. Und zwar in 33 Gesprächsstationen.

33 Mal treffen sich freitags zwei kurze Stammtischstunden lang die gewesenen Briefträger Ferdinand Ürdinger, Karl Deuth und Franz Blumauer beim Kirchenwirt in Munderfing im oberösterreichischen Innviertel. 33 Mal wird diskutiert, diskurriert, rekurriert, referiert, die Welt perforiert und transformiert, Kleinglobales aberzählt, lamentös kommentiert und deren Zustand konstatiert.

Die drei kennt man aus dem 1974 erschienenen Roman Zu Lasten der Briefträger, einer der erfolgreichsten Veröffentlichungen Brandstetters. Zog darin ein Ich-Erzähler gegen Briefträger und andere desaströse Falloten wie Jäger, gegen fehlberufene Existenzen wie Schullehrer, gegen monströse wie falsche Dilemmata und Debakel im richtigen kleinen Leben vom Leder, so reden nun ausschließlich die drei Briefträger mit- und füreinander.

Es ist aber kein Untergang, vielmehr eine Auflösung des Abendlandes. Eine Auflösung in Worten, ein Ablösen von Schicht um Schicht durch Zeitungslektüre, Kalauer, Sprachspiele.

So wird dieser Roman zur Verbalsektion am lebenden Objekt namens Welt. Alles wird hier urbasisdemokratisch filetiert, so mancher Satz springt freiwillig durch hochgehaltene Wortspiel-Zirkusreifen, bei anderen Sagern hätte man sich ein Lektorat mit Willen zum Kürzen gewünscht, hie und da muten doch einige arg erzwungen an, sind die Pointen "a recht a matte Sach'" und wie Wortgeriatrie dreier alter Männer.

Deren Grundtenor ist mutvolles Lamento. Denn aufgesaugt werden alles und nahezu jedes und der Roman wird so zum Totalitätserfassungsgefäß promoviert. Von Arigona Zogaj, Hacklerregelung, Kraftpost bis zur Schottermitzi, vom zerrütteten Zustand der Post im Allgemeinen wie im konkreten, lokalen Augenschein respektive der Ausdünnung der Ämter am Land, von Denglisch bis zu lolitesken Wiener Schulskandalen, von Latein über die Burka bis zu Briefträger anfallenden Frettchen, von der Anthropologie Österreichs bis zu Renaissancepäpsten und den ersten Stammtischrunden im deutschen Sprachraum, von Parsifal bis zu Wilhelm Raabe und reichlich skurrilen Akten wie der kriminellen Entwendung einer Stadelwand in Kärnten reicht das unbegrenzte Spektrum der Ab-, Um- und Wegschweifungen und das innbayerische Rekognoszieren des altpostalischen Trios bei Bier und Fleischernem.

Überdeutlich ist dies auch eine Verteidigung pro domo und contra toto, was dem gesellschaftlichen Mainstream an horribel-kalter Modernitätsoptimierung entgegenschlägt.

Dass Alois Brandstetters Zweitling einst von der Harlekin Press verlegt wurde, nimmt er seither verbatim. Und untermauert dies hier erneut. Passgenau zum Erscheinen dieses Briefträger-Romans übrigens wird (zufällig?) gemeldet, dass nur 318 von 1000 Post- und Telekom-Mitarbeitern zur Polizei überwechselten, und diese Offerte hecheln ausgiebig bereits Brandstetters Protagonisten durch. In Niederösterreich hätten zwölf von solchem Arbeitsplatzwechsel Gebrauch gemacht, wie viele es im Innviertel waren, verblieb im Dunkel.

Die Agenturmeldung maliziös weiter: "Der Grund für die geringe Zahl ist jedoch nicht nur das mangelnde Interesse. Jeder zweite Interessent schafft den Eignungstest nicht, der benötigt wird, um zur Polizei zu wechseln.

Die größte Hürde dabei: Der Rechtschreibtest. Zusätzlich hätten viele auch kein 'geeignetes Persönlichkeitsprofil'." Klarerweise ein Entrüstungs-Fall für Ürdinger, Blumauer und Deuth! Schreiten Sie zum Stammtisch, die Herren. (Alexander Kluy, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 19./20. Februar 2011)