Güssing - Als Hans Niessl zum burgenländischen Landeshauptmann gewählt wurde, im Dezember 2000 war das, plagte ihn etwas, das andere Sozialdemokraten vor ihm als behandlungswürdiges Symptom diagnostiziert hatten. Hans Niessl hatte eine Vision. Bis 2013 sollte sich das Burgenland - bis dahin als Energieerzeuger nicht in Erscheinung getreten - selbst versorgen können, und zwar mit "erneuerbarer Energie".

Heute, 2011, lacht niemand mehr darüber. Und schon gar keiner ruft nach dem Arzt. In zwei Jahren, sagt Hans Niessl, wird das windradgesättigte Burgenland tatsächlich "stromautark" sein, 2020 dann endgültig"energieautark".

Den visionären Floh in des Landeshauptmanns Ohr gesetzt hat wohl Reinhard Koch, den sie mittlerweile "Mister Biomasse" nennen. Koch ist Leiter des europäischen Zentrums für erneuerbare Energie im südburgenländischen Güssing, wo sich in einem 1:1-Modell besichtigen lässt, wie die Welt nach der Energiewende aussehen könnte.

Und tatsächlich schaut die ganze Welt vorbei in Güssing. Ein eigenes Hotel hat man bauen müssen für die zahlreichen Delegationen aus aller Herren Länder. Ingenieure und Forscher, Kommunalpolitiker und Energiebeauftragte - bis zu 400 Menschen pro Woche kommen in die 4000-Einwohner-Stadt, um sich die Sache im Detail erklären und damit auch den Floh ins Ohr setzen zu lassen.

Die Güssinger Sache ist eigentlich watscheneinfach, aber wie vieles Einfache gleichzeitig hochkompliziert. Denn eigentlich, so meint es Reinhard Koch, sei die Umstellung auf erneuerbare Energie weniger ein technisches als ein politisches Problem.

Herunterrechnen 

Es gelte bloß, die bislang stets zentral gedachte Energieerzeugung aufs Regionale herunterzurechnen und sie so zu organisieren, wie seit jeher die Wasserversorgung, die Abwasser- und die Müllentsorgung organisiert sind. "Warum soll das nicht auch bei Energie funktionieren?" Vor allem darin will Güssing ein Modell sein. In der Stadt funktioniert es längst, jetzt soll die gesamte Region energieautark werden.

Wie das möglichst sinnvoll und effizient ins Werk gesetzt wird, ist die umfassende Fragestellung im europäischen Zentrum für erneuerbare Energie, das sich zu einem einschlägigen europäischen Forschungs-Hotspot gemausert hat. Hier ist es 2008 einem schweizerisch-österreichischen Forscherteam unter Federführung der TU Wien erstmals gelungen, reinstes Methangas aus Holz herzustellen.

Die Ein-Megawatt-Anlage, in der die industrielle Umsetzung erarbeitet und erprobt wird, wurde allerdings Anfang 2011 in den Insolvenzstrudel des schweizerischen Partners gerissen. Dieser Tage entscheidet sich die Zukunft des Prototyps. Das internationale Interesse daran war jedenfalls enorm. So plant die Stadt Göteborg eine solche Anlage im Ausmaß von 100 Megawatt.

Dieser Erdgasersatz, der sich problemlos ins bestehende Netz einspeisen lässt, wäre auch Ausgangsprodukt von "Biokraftstoffen der zweiten Generation". Auch daran arbeitet Güssing. Anders als die diesbezüglich ebenfalls engagierten Ölkonzerne setzt man dabei wiederum auf kleine Anlagen, weil sich bei solchen durch die Mehrfachnutzung der Wirkungsgrad entscheidend erhöht.

Nein, nicht nur deshalb, darauf verweist Reinhard Koch immer wieder. Güssing war bis weit in die 1990er-Jahre ökonomisches Notstandsgebiet. Jahr für Jahr flossen allein für Energie 36 Millionen Euro hinaus, heute bleiben 20 im Bezirk. 1000 neue Arbeitsplätze entstanden, die Kommunalsteuereinnahmen der Stadt stiegen von 400.000 Schilling im Jahr 1990 auf 1,5 Millionen Euro. Mit Bill Clinton: "It's the economy, stupid." (wei, DER STANDARD Printausgabe, 17.2.2011)