Rettungseinsatz per Hubschrauber: Die Krankenkasse zahlt nur, wenn der Flug aus medizinischer Sicht nötig ist. Geben Ärzte rückwirkend Entwarnung, kann der Patient zur Kasse gebeten werden.

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Wien - Erst kamen die Magenkrämpfe, dann das Blackout: Nach einem sommerlichen Abendessen in einem Hotel klappte Angelika G. ohnmächtig zusammen. Als sie wieder das Bewusstsein erlangte, hatten Gäste oder Kellner - die 34-Jährige bekam es nicht mit - bereits die Rettung gerufen. Die Sanitäter maßen G.s Blutdruck, überprüften ihren Zustand. Weil sich die Patientin vom Kreislaufkollaps erholt hatte, sahen sie von einer Einlieferung ins Spital ab.

Ein halbes Jahr danach wurde G. beinahe wieder schwarz vor Augen: In ihrem Postkasten fand sie eine Rechnung des Wiener Rettungsdienstes über 526 Euro. Die Gebietskrankenkasse hatte sich geweigert, die Kosten für den Einsatz im Sommer zu übernehmen. Also trieb der Magistrat die "Einsatzgebühr" bei der Patientin ein.

G. ist kein Einzelfall. Immer wieder lehnen Krankenkassen ab, ihrer Meinung nach nicht notwendige Rettungsfahrten zu bezahlen. Laut Gesetz habe die Versicherung Transporteinsätze eben nur dann zu übernehmen, wenn tatsächlich ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werde, argumentiert die Wiener Gebietskrankenkasse. Doch können Kranke in Selbstdiagnose beurteilen, ob sie akut Hilfe brauchen oder nicht? Sollen Passanten beim Notruf zögern, wenn jemand vor ihren Augen niederbricht? "Die Rettung sollte lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig gerufen werden", sagt Gerhard Neustifter von der Wiener Patientenanwaltschaft.

Die Patientenvertreter registrieren immer mehr Klienten, die den schwarzen Peter zugeschoben bekämen, was Neustifter auf den Sparkurs der Sozialversicherungen zurückführt: "Die Praxis ist strenger geworden." Dies fördere zwar positive Bilanzen in den Kassen der Kassen, aber auch empörte Patienten: Die Zahl einschlägiger Beschwerden hat sich bei der Wiener Anwaltschaft binnen zweier Jahre auf 36 verdoppelt. Allerdings sehe man nur die Spitze des Eisberges, meint Niederösterreichs Patientenanwalt Gerald Bachinger: "Die meisten Leute beklagen sich nicht und zahlen."

G'scheiter im Nachhinein

Bachinger schildert einen besonders "unfairen" Fall. Nach einem Sturz von der Schaukel litt ein Mädchen an Kopfweh und Nasenbluten. Die Eltern alarmierten die Rettung, die prompt einen Notarzthubschrauber schickte. Erst via Computertomografie im Spital entlarvten die Ärzte den potenziellen Schädelbasisbruch als Lappalie. Grund genug für die zuständige Krankenkasse, die Kostenübernahme - ein Hubschraubereinsatz verschlingt schnell ein paar Tausender - zu verweigern. "Eine völlig absurde Wertung", ärgert sich Bachinger: "Im Nachhinein ist man immer g'scheiter."

Zahlen sollte auch jene alte Dame, die eines Tages von den Pflegern ihres Wohnheimes unansprechbar vorgefunden wurde. Erst dem gerufenen Rettungspersonal gelang es mit stärkeren Reizen, die Frau zu wecken - worauf sie im Heim belassen wurde. Folge: Die Krankenkasse winkte ab.

In diesem und anderen Fällen haben die Patientenanwälte erreicht, dass der Rechnungsbetrag reduziert oder gestrichen wurde. Das Gesetz biete einigen Interpretationsspielraum, sagt Neustifter. Während etwa Niederösterreichs Gebietskrankenkasse per se nicht zahle, wenn auf einen Einsatz kein Spitalstransport folgt, ließen sich die Wiener nachträglich mitunter erweichen, wenn zumindest irgendeine ärztliche Leistung stattfand. Auch im Fall von Angelika G., die sich über die ihr widerfahrene "Frechheit" beschwerte, hat die Kasse letztlich eingelenkt.

Dass die Auslegung immer restriktiver werde, dementiert Evelyn Holley-Spiess, Sprecherin der Wiener Gebietskrankenkasse: "Die Grundlage ist seit Jahren die gleiche". Um gesundheitliche wie finanzielle Komplikationen zu vermeiden, hat sie für Rettungskunden einen Tipp parat: "Sicherheitshalber ins Spital mitfahren. (Gerald John, DER STANDARD-Printausgabe, 17.2.2011)